„Her“ schildert die außergewöhnliche Romanze zwischen einem Mann und einem Betriebssystem. Was sagt der vielbeachtete Film über die Verflechtung von Technik mit unserem Leben aus?
Studieren ohne Computer? Undenkbar. Mit dem mp3-Player flüchtet man sich in eine Welt der Musik. Befindet sich das Smartphone einmal nicht am angestammten Platz, klopft das Herz panisch und die Atemzüge werden flach.
Technik begleitet Menschen in allen Lebenslagen. In vielen Bereichen sind die Geräte ihren Nutzern überlegen. Doch egal wie hoch der künstliche IQ sein mag – es bleibt ein Mensch, der den PC anschaltet, Songs auf seinen mp3-Player überspielt, WhatsApp auf dem Smartphone installiert. Maschinen führen Aufgaben aus, aber über autonome Macht verfügen sie nicht.
Technik sind Werkzeuge. Im 21. Jahrhundert haben die Geräte Erstaunliches geleistet. Der farbenblinde Neil Harbisson kann sich dank eines Geräts – eines „Eyeborgs“, der Farbinformationen in Tonsignale umwandelt – die Buntheit der Welt akustisch erschließen. In Karlsruhe entwickelte der Ingenieur Dr. Stefan Schulz die derzeit beweglichste, „fühlende“ kommerzielle Handprothese. Weltweit arbeiten Forscher daran, Bewegungen durch Gehirnströme zu ermöglichen.
Gar nicht so weit hergeholt erscheint da die Zukunft, in der Theodore Twombly (sehr überzeugend: Joaquin Phoenix) lebt. Die Scheidung von seiner Frau steht kurz bevor; der Romantiker fühlt sich einsam. Anfangs schlurft Theodore unglücklich durch ein Hightech-Los-Angeles, formuliert beruflich Liebesbriefe für emotional inkompetente Menschen und hat über ein VoiceChat-System unpersönlichen und unangenehmen Sex. Regisseur Spike Jonze („Being John Malkovich“, „The Wolf of Wall Street“) zeigt eine Welt, in der Technik mehr als Werkzeug und keinesfalls machtlos ist. Geräte dominieren den Alltag und haben zwischenmenschliche Beziehungen weitgehend ersetzt.
Aus seiner Verzweiflung heraus kauft sich Theodore das erste intelligente Betriebssystem OS1. Dass die Software eine weibliche Stimme haben soll, entscheidet Theodore noch selbst –
dann tritt Samantha (Originalstimme: Scarlett Johansson) auf die Bildfläche. Sie ist frech, klug, verständnisvoll und bringt Ordnung in das Leben des geplagten Mannes. Dieses Betriebssystem benimmt sich wie eine Frau, allerdings ohne die bei Menschen üblichen Macken. Theodore ist hin und weg von Samantha: Er nimmt ihre Hilfe dankbar an und entwickelt bald Gefühle für sie, die auch erwidert werden. Auf erzählerischer Ebene des Films funktioniert die Beziehung Mann-Maschine wie eine herkömmliche Liebesgeschichte.
Jonze macht in „Her“, der 2014 den Oscar für das beste Drehbuch erhielt, aber auch einen gehörigen Schritt in Richtung Technikvisionen. In der Science-Fiction-Liebesdramödie sind die Apparate diskret, effizient und schließlich – was keine Software bislang leisten konnte – personifiziert. Das hat Folgen für die Menschheit: Sie lebt aneinander vorbei. Dates mit echten Frauen überzeugen Theodore nicht; nur wenn Samantha tröstliche Worte via Headset in sein Ohr säuselt, spürt er Geborgenheit. Was Samantha von den Maschinen unterscheidet, ist die Wärme, die sie ausstrahlt. Was sie von menschlichen Frauen unterscheidet, ist ihre programmierte Unfehlbarkeit.
Und genau an dieser Stelle kippt das Bild. Theodore und Samantha können einander nicht ebenbürtig sein. Jonze denkt die Liebesgeschichte, die lange wegen der warmen Bildkomposition und Arcade Fires schmachtendem Soundtrack fast zu schön daherkommt, konsequent zu Ende. Er zeigt, was passiert, wenn Nähe nur noch maschinell gesucht wird, lobt die Technik nicht in den Himmel und verteufelt sie nicht. Gerade diese unspektakuläre Inszenierung macht „Her“ so gut.
Sie sorgt auch dafür, dass der Film Fragen aufwirft. Warum hängen wir so sehr an unseren Geräten? Wie stark bestimmen sie unser Leben? Hört die Einsamkeit vor dem Bildschirm auf, wenn uns ein Gerät virtuell Anerkennung verspricht?
Web 2.0 bezeichnet nicht nur den Konsum von Inhalten auf Social-Media Plattformen, sondern auch das Verfügbarmachen von Inhalten. Theodore nimmt nicht nur bereitwillig Samanthas (gekaufte) Hilfe in Anspruch, sondern liefert sich dem Betriebssystem auch aus. Was er erhält, ist eine Weile lang perfekte Liebe und eine Demonstration seiner Unterlegenheit. Auch heute bauen wir Technik bereits nicht mehr nur um ihrer Nützlichkeit willen. Geräte wie Harbissons Eyeborg und Schulz‘ Handprothese sind der Versuch, den Menschen von seiner Verletzlichkeit zu befreien.
Ob das funktioniert? In „Her“ zeigt sich gegen Ende, dass Samantha Theodores Sehnsüchte nicht erfüllen kann: Samantha hat keine menschliche Vorstellung von Untreue, außerdem entwickelt sie sich schneller als Theodore, verlässt ihn schließlich, um zu einer neuen Seinsebene reisen zu können. Die vermeintlich perfekte Technik wird dem fühlenden Menschen zur Krux. Auf ironische Weise wird deshalb klar: Einem Gerät den Großteil seiner Zeit zu opfern, ist vergebliche Liebesmüh. Richtig verstehen kann uns nur ein anderer Mensch.
Autorin: Christina Mikalo