KuWi in der Krise

„Reformstau“ in den Angewandten Kulturwissenschaften: Wann wird gehandelt?

Die Gutachter sind nicht zimperlich: Ein mieses Kommunikationsklima, ein verkorkstes Institutsgefüge und kein gemeinsames Verständnis von dem, was Kulturwissenschaften in Lüneburg bedeuten – all das attestiert die Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen (WKN) den Vertretern des Studiengangs Angewandte Kulturwissenschaften.
Das 50-seitige Gutachterpapier ist seit Januar der Öffentlichkeit zugänglich und bestätigt deutlich, was alle schon lange wussten: KuWi steckt tief in der Krise. Es herrscht Reformstau und dringender Handlungsbedarf.

Angesichts des neuen Leuphana-Bachelors und der vielen Neuerungen im Zuge der so genannten Neuausrichtung von „Reformstau“ zu sprechen, erscheint auf den ersten Blick gewagt. Tatsächlich aber tut sich im Studiengang Angewandte Kulturwissenschaften – auch einer der Major im Leuphana Bachelor – seit langem nichts mehr. Anstatt mit innovativen Ansätzen dem Fach neue Dynamik zu verleihen, pokern die ProfessorInnen um Personal und den Zuschnitt von Instituten. Oder sie haben sich schon lange frustriert vom Projekt Kulturwissenschaften verabschiedet. Eine gemeinsame Identität als Kulturwissenschaftler gibt es jedenfalls kaum. Vielmehr definieren sich die Lehrenden in erster Linie über ihre jeweilige Fachdisziplin. Durch den universitären Stellungskrieg ist die Diskussion über die gemeinsamen Inhalte längst in Vergessenheit geraten – der neue Major, dessen fragwürdige Strukturierung sich nur noch äußerst begrenzt über die Inhalte erklären lässt, zeigt dies überdeutlich.

Derzeit werden in den Kulturwissenschaften auf Veranlassung des Präsidiums munter lauter neue Institute gegründet. Die Vielfalt der Neuerungen reichte dabei von bloßen Umbenennungen (aus dem Lehrgebiet Kulturgeographie soll gemeinsam mit Architektinnen der ehemaligen FH aus Buxtehude das ‚Institut für Stadt- und Kulturraumforschung‘ entstehen) bis hin zu komplexeren Neubildungen, wie dem ‚Institut für Kulturtheorie, Kulturforschung und Künste‘, dem die ProfessorInnen Jamme, Busch, Kirchberg, Bekmeier-Feuerhahn und Kramer angehören. Die Professorinnen Röser und Thomas bilden hingegen mit Mitarbeitern das ‚Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienkultur‘, Professor Faulstich mit der unbesetzten Professur der Sozial- und Kulturgeschichte das ‚Institut für Medien und Geschichte‘. Allein die beiden letzteren Institutsbezeichnungen deuten an, dass der Zuschnitt offenbar weniger nach fachlichen und inhaltlichen Kriterien als nach persönlichen Präferenzen erfolgte. Nirgendwo streitet es sich so schön wie an der Universität.

Allerdings schwebten diese Institute bei Redaktionsschluss – trotz zum Teil schon bestehender Webauftritte im neuen Leuphana-Layout – gewissermaßen noch im rechtsfreien Raum. Denn anstatt endlich einen Schlussstrich unter das akademische Stühlerücken zu ziehen und die Institute formal zu genehmigen, beschäftigt sich das Präsidium lieber mit zeitaufwändigen Prestigeobjekten. Daniel Libeskind lässt grüßen. Zudem erscheint höchst fraglich, ob man im Präsidium über die Phantastereien von Elite-Eckprofessuren und anderem realitätsfernen Wunschdenken überhaupt jemals verstanden hat, was an der Basis vorgeht. Kulturwissenschaften sind schließlich mehr als nur der Kunstraum.

Gewissermaßen als Schlusspunkt der Verwirrung ist in Fakultätskreisen derzeit die Bildung von ‚Departments‘ innerhalb der Fakultät I im Gespräch. Darunter frei nach dem Motto „back to the roots“ auch ein ‚Department Kulturwissenschaften‘ im Zuschnitt des ehemaligen Fachbereichs III. An sich wäre ein solches Department nur zu begrüßen. Denn eine Art „Schaltzentrale“ ist das, was den KuWis in Lüneburg seit vielen Jahren fehlt. Wiederholt haben Evaluationen nahegelegt, dass die Wissenschaftler der einzelnen Disziplinen besser zusammenarbeiten müssen – in Lehre und Forschung. Zuletzt deutete die Wissenschaftliche Kommission an, dass es fraglich sei, „ob nicht ein erheblicher Anteil der Integrationsleistung im Studienfach ‚Angewandte Kulturwissenschaften‘ den Studierenden zugemutet wird.“ Eine Feststellung, die aus studentischer Sicht voll zutreffend ist. Es scheint jedoch, dass auch die Studierenden immer weniger in der Lage dazu sind, diese ihnen übertragene Funktion auch zu übernehmen.

Deutlicher war die Zentrale Evaluations- und Akkreditierungsagentur Hannover (ZEvA) in einer Evaluation von Lehre und Studium der Kulturwissenschaften im Jahr 2000. In Lüneburg sei eine „vorwiegend additive Zusammenfügung von Teildisziplinen“ historisch gewachsen. Man mahnte eine „intensive und womöglich institutionalisierte Erörterung gemeinsamer Ziele eines kulturwissenschaftlichen Studiums“ deshalb dringend an. Die ZEvA kritisierte weiter, dass die Koordinatoren des Integrationsbereichs ineffektiv seien und es nicht einmal eine ständige, gemeinsame Konferenz der Lehrenden gäbe, um die Integration des Faches zu gewährleisten.

Zwar ist im Detail seitdem einiges verändert worden, doch im Kern gilt: Was vor nunmehr acht Jahren beanstandet wurde, ist bis heute nicht abgestellt. Man spricht nicht miteinander, sondern nur übereinander. Und auch das ‚Department Kulturwissenschaften‘ droht ein Papiertiger zu werden. Für die neue Organisationseinheit sind nämlich weder Personal noch Geld, geschweige denn Kompetenzen vorgesehen. Es fehlt aber ein mächtiges Gremium, dass die für Studierende unerträglichen Revierkämpfe der LehrstuhlinhaberInnen – die WKN spricht hier zurückhaltend von „deutlich dissonanten Tönen“ – zumindest dämpft und endlich einen Grundkonsens darüber herbeiführt, wie Kulturwissenschaften in Lüneburg eigentlich betrieben werden.

Denn jenseits aller Lücken in der Ausstattung – die katastrophale Personalsituation ist bekanntlich ein Verdienst von Spoun & Co. – werden inhaltliche Fragen kaum noch gestellt. Cultural Studies? Neue Kulturwissenschaften? Wo steht Lüneburg? Die WKN fordert daher etwa die Einrichtung einer zentralen Forschungseinrichtung – doch müssen Vorgaben aus Hannover nicht per se der richtige Weg sein. Schließlich sollte die Deutungshoheit über das, was Kulturwissenschaften in Lüneburg bedeuten, nicht einem Gutachtergremium überlassen werden, dessen Zusammensetzung allein schon das Ergebnis seiner Expertise vorwegnimmt.

Doch anstatt aus eigener Initiative eine Entwicklung anzustoßen, die im besten Falle eine Art „Lüneburger Weg“ in den Kulturwissenschaften aufzeigen könnte, üben sich alle Beteiligten weiter im Aufschieben und einer Fortsetzung der Grabenkämpfe. Das ist der beste Weg in die Bedeutungslosigkeit. Denn es gibt es keine Lorbeeren mehr, auf denen man sich ausruhen könnte. Noch im Jahr 2001 lobte ein KuWi-Vertreter das Magisterprogramm als „Lüneburger Modell“, das am konsequentesten einen interdisziplinären Ansatz verfolge. Es sei im Vergleich zu herkömmlichen Magisterstudiengängen innovativ in seiner strukturierten Form. Dies gilt in Zeiten von modularisierten Bachelor-Studiengängen nicht mehr. Ihr Alleinstellungsmerkmal haben die Lüneburger Kulturwissenschaften inzwischen verloren.

Roland Ahrendt und Gunnar Maus

Hintergrund
Im Rahmen der Forschungsevaluation an niedersächsischen Hochschulen hat die Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen (WKN) im vergangenen Jahr die kulturwissenschaftlichen Studiengänge an den Stiftungsuniversitäten Lüneburg und Hildesheim begutachtet. Der Gutachterbericht ist im Internet unter der Adresse http://www.wk.niedersachsen.de abrufbar.