Koffeinhöchstdosis in der Mensa

Premium-Cola – ist das mehr als ein ganz normales Getränk? 

Wer regelmäßig die Mensa besucht, der hat vielleicht vor kurzem eine neue Bekanntschaft gemacht: Im Getränkeregal steht eine dort zuvor nie gesehene, unscheinbare schwarze Flasche. Man muss sie fast ganz herausziehen, bevor sie ihr minimalistisches Etikett offenbart. Ein bisschen Neugierde scheint also vorausgesetzt zu werden. Dann liest man: „sehr koffeinhaltiges Erfrischungsgetränk“. Das klingt nach einer Nacht kurz vor Abgabe der letzten Hausarbeit. Und irgendwie auch nach der darauf folgenden Nacht, in der trotz Übermüdung das Erreichen der Abgabefrist gefeiert wurde. Also prima passend fürs Uni-Leben.„Korrekte Lieblings-Cola aus kollektiver Überzeu-gung und Leidenschaft“ steht in der zweiten Zeile. Was soll denn das sein? Kann man die nicht einfach trinken? Muss man da erst Mitglied werden? Den ersten Schluck habe ich trotzdem mal genommen und festgestellt, dass diese Premium-Cola den Geschmackstest für mich besteht. Sie scheint mir ein bisschen weniger süß zu sein. Aber im Blindtest einen Unterschied zu anderer Cola schmecken zu können, würde ich nicht von mir behaupten.

Doch was ist mit dieser kollektiven Überzeugung gemeint. Meine Nachfrage bei Uwe Lübbermann – dieser Name steht auf der Flasche – stößt auf große Offenheit. Ruckzuck bin ich Mitleser der Mailingliste dieses „Kollektivs“, einer Gruppe von rund 160 mehr oder minder aktiven Schreibern, Gastronomen, Händlern, so genannten Sprechern und weiteren Interessierten wie mir. Plötzlich bin ich mittendrin in teilweise etwas wirr anmutenden Diskussionen. Zum Beispiel darüber, ob man das Etikett der Cola auf Recycling-Papier drucken kann oder vielleicht sogar muss. Zunächst erscheint mir diese Mailingliste wie ein großes Gehirn, bestehend aus lauter Spezialis-ten. Irgendjemand wirft eine Frage auf, ein Zweiter schreibt ein paar Ideen dazu und eine Dritte hat in der Zwischenzeit schon Links recherchiert. Dieses Netzwerk macht so einen enorm schlagkräftigen Eindruck.

Aber manchmal scheint es dort auch schwierig zu sein. Die Frage, ob man sich von CO2-Emissionen freikaufen kann – die beim Transport von Cola-Flaschen unvermeidlich sind -, lässt sich kollektiv anscheinend nicht klären. Schließlich wird eine andere Lösung zur Verwendung des Umweltcents gefunden.

„Umweltcent“? „Sprecher“? Was bedeuten diese Begriffe und was haben sie in einem Unternehmen zu suchen, das Cola produziert? Kann so ein Kol-lektiv überhaupt ein Unternehmen sein? Die Beant-wortung einzelner Fragen wirft immer wieder neue auf. Ganz sicher regen diese Diskussionen dazu an, sich Gedanken zu machen. Die Recherche geht los.

Angefangen bei meiner Lieblings-Erstquelle Wikipe-dia (die man in der Univativ übrigens zitieren darf), lese ich, dass Premium-Cola von ehemaligen afri-cola-Fans gegründet wurde – nachdem der afri-Hersteller stillschweigend das Rezept verändert hatte und auch auf Protest hin nicht einlenken woll-te. Es hat wohl sogar einen mit Wasserpistolen bewaffneten Überfall auf die Konzernzentrale der afri-cola GmbH gegeben – in Hinblick auf die „Ret-tung“ der alten Kultmarke wohl weniger erfolgreich als auf den Beginn einer ganz neuen Idee.

Seitdem haben sich Produktion und Vertrieb in inzwischen 54 Städten ganz von unten an aufge-baut. Jede Stadt wird von solch einem „Sprecher“ betreut, der sich zunächst darum kümmert, „pas-sende“ Lokale auszusuchen, denn Premium-Cola will gar nicht überall verkauft werden. Einem Wirt, der seine Mitarbeiter schlecht bezahlt, wird diese Cola wohl gar nicht erst angeboten. Anschließend wird ein passender Händler gesucht und die Lücke zwischen Abfüller und Endverbraucher geschlos-sen. In manchen Städten lohnt sich das kaum, wenn beispielsweise nur ein, zwei Läden dabei sind. Hier-für wurde der Anti-Mengenrabatt erfunden: Wer nur geringe Mengen abnimmt, hat vermutlich höhere Stückkosten und bekommt daher einen günstigeren Preis. Was für eine schräge Idee! Aber irgendwie klingt das sehr gerecht.

Mit so einem Sprecher ist das auch in Lüneburg gelaufen. Der studiert selbst an dieser Uni und hat sich gedacht, die Mensa sei doch ganz sympathisch und die Studierenden würden sich über Premium-Cola freuen. Also wurde Kontakt zu den Chefs der Mensa aufgenommen und die waren schnell über-zeugt von der guten Idee.

Eine weitere kuriose Geschichte: Als die Drogerie-kette Budni vor längerer Zeit Interesse geäußert hat, Premium-Cola verkaufen zu wollen, wurde das zunächst aufgrund der Größe Budnis abgesagt. Als man sich schließlich vornahm, doch zumindest mal einen Termin auszumachen, war die Anfrage-Mail schlichtweg verloren gegangen. Monate später kam noch mal Kontakt zustande, doch das Kollektiv hatte zunächst Bedenken, den eigenen Händlern mit einem Ladenverkauf zu große Konkurrenz zu ma-chen. Schließlich wurde – nicht per Abstimmung, sondern nach reiflicher Diskussion und aus kollekti-ver Überzeugung (da haben wir sie!) – entschieden, erst nach und nach einzelne ausgesuchte Filialen zuzulassen. Witzigerweise ließ sich Budni darauf ein.

Größtmögliche Transparenz – das heißt, jeder kann alles mitlesen, selbst das Bankkonto ist jederzeit einsehbar – ist wohl das, was an diesen Strukturen überzeugt und auch beeindruckt. Die Budni-Leute scheinen erkannt zu haben, dass sie von Premium-Cola sicher nicht hinters Licht geführt werden. Denn Absprachen basieren auf Ehrlichkeit und bedürfen nicht einmal eines schriftlichen Vertrags. Was für eine schöne Welt!

Wie kann denn das funktionieren? Ein Hauptgrund scheint darin zu liegen, dass niemand auf den Er-folg der Cola angewiesen ist. Alle Beteiligten haben neben Premium noch ein anderes Standbein und niemand drängt zu schnellem Wachstum. Neue Städte werden ganz in Ruhe begutachtet, sobald sich jemand freiwillig dazu bereit erklärt. Vielleicht werden es immer mehr Städte und immer größere Absatzzahlen – doch gibt es kein Geschäftsziel, das dies erfordert. Das Ziel ist vielleicht eher, trotz zu-nehmender Größe, all die guten Grundsätze zu bewahren, ohne aber dogmatisch auf Bewährtem zu bestehen. Veränderungen sind erwünscht, aber sie sollten Verbesserungen bringen und nicht aus Zu-kunftserwartungen finanziert werden. Uwe Lübber-mann, der wohl der Hauptantrieb ist und dadurch vielleicht eine Art Chef dieses Kollektivs (sofern diese Bezeichnung kein Widerspruch in sich ist), sagt, nur bei solch einer „Ist-Kalkulation“, Geld erst auszugeben, wenn es da ist, könne er ruhig schla-fen. Erfolgsdruck scheint also vermeidbar zu sein.

Als Außenstehender habe ich den Eindruck, dass diese durchdacht-unkonventionelle Art zu wirtschaf-ten, richtig Spaß machen muss. Dieses Konzept scheint viel mehr zu sein als nur eine Cola. Viel interessanter erscheint mir eigentlich die Idee dahin-ter, aus Überzeugung ein gutes Produkt zu entwi-ckeln und guten Gewissens zu verkaufen. Wie wäre es, dieses Konzept einfach mal zu übernehmen und selbst mit solch einem Anspruch ein Unternehmen zu beginnen? Vielleicht steckt in diesem „sehr kof-feinhaltigen Erfrischungsgetränk“ ja auch die Ener-gie für ein paar richtig gute eigene Ansätze. Auf jeden Fall ist es ein Grund mehr, den Sommer auf der Mensa-Wiese zu verbringen!

Max Gabrian