Kinderleicht? – Eine Kolumne über das Studieren mit Kind – Teil 5

Angelika ist alleinerziehende Mutter und studiert Vollzeit an der Leuphana. Wöchentlich berichtet sie über ihren Weg zum Studium sowie Erfahrungen und Erlebnisse rund ums Studieren mit Kind.

Studieren mit Kind/ (CC) Foto: missBdeBerlinTage wie dieser

Es ist der 22 Oktober 2013. Das Wintersemester hat gerade begonnen und ich stelle fest, dass ich bereits ein Jahr an der Uni bin. Ein wichtiger Meilenstein in meinem Leben. Voller Stolz und mit etwas Bammel trete ich den bevorstehenden, langen Tag an. Ich habe mich schon am Abend vorbereitet, alle Sachen rausgelegt. Der Plan: 8 Uhr Aufbau für den Markt der Möglichkeiten, 9.30 Uhr Fotoshooting mit einer Journalistin, anschließend geht es zurück zum Markt der Möglichkeiten im Hörsaalgang. 12 Uhr Meeting, 14 bis 16 Uhr Seminar, 16 bis 18 Uhr Vorlesung, 18 Uhr öffentliche Univativsitzung. Vor 20 Uhr komme ich aus der Uni nicht raus und vor 21 Uhr bin ich nicht zu Hause.

Meine Tochter muss den kompletten Tag ohne mich meistern. Mit neun Jahren kann ich ihr gewisse Dinge schon zutrauen, tröste ich mich. Aber die Sorge ist trotzdem da. Ein schlechtes Gewissen schleicht sich ein. Und ich bin heimlich wütend auf mich selbst und jeden, der mir ausgerechnet heute nicht aushelfen kann. Ich bin weit weg von ihr, und sollte was sein, kann ich nicht sofort kommen. Naja, wird schon gut gehen, denke ich.

Falsch gedacht!

Um 15 Uhr muss sie zum Zahnarzt. Ich habe alles gründlich mit ihr durchgesprochen und genau erklärt, was sie zu tun hat. Den Weg kennt sie ebenfalls, das Wetter ist gut, sie wird also sicher hin- und zurückkommen. An diesem Tag habe ich tonnenweise Gepäck bei mir: Bücher, meinen riesigen Oldschool Laptop, die Tasche mit Essen und Trinken- halt alles, was man für einen 13 Stunden Tag braucht. Ich gönne mir eine kleine Verschnaufpause in der Bibliothek. Mittlerweile bin ich seit 5 Stunden auf Achse, aber die Uni hat noch nicht mal angefangen. Ich habe alles sorgfältig ins Schließfach gelegt und bin erleichtert, nichts weiter als meinen PC tragen zu müssen. Ich setze mich rein und klappe den Laptop auf, um schnell noch Mails zu checken. Da in der Bib striktes Redeverbot herrscht, muss ich sehr leise sein und auf jede kleinste Bewegung achten, um niemanden zu stören. Das Handy liegt natürlich immer im Blickfeld – das gehört sich so für eine Mama.

Flüsternd versuche ich mein hyperventilierendes Kind zu beruhigen

Mein Handy klingelt in genau dem Moment, als ich den PC aufklappe, um mit der Arbeit zu beginnen. Es ist die Nummer der Redaktion, mit der ich vorhin das Shooting hatte. Das muss wichtig sein, aber so schnell komme ich jetzt hier nicht raus. Mist, ich muss wohl oder übel rangehen. Ja, es ist der Chefredakteur persönlich, der noch paar Fragen hat. Ich gebe ihm also ein „Flüsterinterview“, was wirklich eine Herausforderung ist. Aufgrund der schlechten Akustik fragt er bei jedem zweiten Wort nochmal nach. Nach 15 Minuten habe ich es geschafft. Was für eine Anstrengung! Ich lehne mich zurück und bin heilfroh, es hinter mir zu haben.

Als das Telefon um 14.50 Uhr erneut klingelt und die Nummer von zu Hause aufleuchtet, beginnt mein Herz zu rasen. „Das darf doch nicht wahr sein“, ärgere ich mich. So ein verfluchter Tag und warum ruft meine Tochter mich um 14.50 Uhr an, wenn sie doch schon vor zwanzig Minuten hätte losgehen müssen? Ich gehe erneut mit flüsternder Stimme ran. Alle gucken doof um mich herum und ich frage mich, womit ich diese Strafe heute verdient habe. Sie weint – ganz doll sogar. Sie hyperventiliert förmlich. „Ich hatte mich verlaufen“, stottert sie ins Telefon und die Welt geht gerade unter – für sie und für mich. Wie soll ich mein Kind, das nicht mal ein Handy besitzt, von hier aus ganz ans Ende des Dorfes navigieren, ohne dabei wirklich reden zu können? Ich bin kurz verzweifelt, fasse mich aber schnell wieder. Ich habe schon Schlimmeres hinter mir, versuche ich in erster Linie mich selbst zu beruhigen. Irgendwann wirkt es wohl auch auf sie. Das Weinen hört auf, sie fasst sich und hört mir genau zu. Sie verspricht mir, nochmal loszugehen, sich zu konzentrieren und notfalls auf dem Weg jemanden zu fragen. Im Gegenzug verspreche ich ihr, beim Arzt anzurufen und zu sagen, dass sie später kommt.

Als wir auflegen, mache ich mir Vorwürfe: ich habe ihr wohl doch zu viel zugemutet. Bin ich vielleicht eine schlechte Mutter? Das hätte nicht passieren dürfen, sie braucht ein Handy und ich einen Therapeuten – JETZT! Mit der Entspannung war das wohl nichts. Die geplante Pause ist im Nachhinein die reinste Achterbahnfahrt gewesen. Ich will diesen Tag sofort aus dem Kalender streichen. Als ich abends um 20.45 Uhr zu Hause bin, pfeife ich auf alles Unerledigte, was jetzt noch zu tun wäre. Ich nehme meine Tochter in den Arm, wir machen uns bettfertig und gehen schlafen.

Autorin: Angelika Kowal