Interview: Geschlechtsneutrale Pronomen entwickeln

Illi Anna Heger hat das Pronomen „xier“ als geschlechtsneutrale Alternative zu „er“ und „sie“ entwickelt. Die Univativ hat mit Heger darüber gesprochen, wie es ist, ein Pronomen zu erfinden.

„Xier“ ist ein Neopronomen, das kein Geschlecht anzeigt. Sei es, weil das Geschlecht einer Person noch unbekannt ist oder weil die Person weder „er“ noch „sie“ für sich verwendet. Nichtbinäre Menschen können für sich Neopronomen wie „xier“ verwenden, entscheiden sich teilweise aber auch für „er“ oder „sie“ als Pronomen. Die Univativ hatte zuletzt über Studierende berichtet, die im Namensfeld von Zoom auf ihre Pronomen hinweisen.

Illi Anna Heger ist nichtbinär, hat 2009 eines der ersten deutschen Neopronomen erfunden und seitdem weiterentwickelt.  Aus dem ursprünglichen „sif“ wurde nach der ersten Veröffentlichung auf Hegers Webseite bald „sier“. Zu der jetzigen Schreibweise „xier“ kam es erst 2012, nachdem eine Person Heger darauf hingewiesen habe, dass so ein größerer Unterschied zu den gängigen Pronomen hörbar sei. Außerdem habe das x auch eine Bedeutung von Vielfalt. Das Pronomen „xier“ umfasst eine ganze Deklination: In allen Fällen des Deutschen (Nominativ, Genitiv, Dativ und Akkusativ) gibt es eine andere Endung (xier, xieser, xiem, xien). Neben den Personalpronomen, gibt es auch Possessivpronomen und Relativpronomen, die über den Wortstamm und eine passende Endung funktionieren. Mittlerweile wird „xier“, neben anderen Neopronomen, von vielen Menschen genutzt. Auch Übersetzer*innen verwendet das Neopronomen,  um in Filmen, Serien und Texten das englische geschlechtsneutrale singular „they“ zu übersetzen.

© Illi Anna Heger, 2021

Illi Anna Heger schreibt hauptberuflich Texte und zeichnet Comics über gesellschaftliche Strukturen.

Wie kamst du auf die Idee, Pronomen zu erfinden?
Bei mir hatte es sehr viel damit zu tun, dass ich englische Texte gelesen habe, in denen Neopronomen verwendet wurden. Ich weiß nicht, ob ich sonst auf die Idee gekommen wäre, dass man das machen kann. Dadurch war ich sehr optimistisch, dass es etwas bringt. Ich habe ja gemerkt, dass ich solche Pronomen durch das Lesen total einfach lerne.

Ich hatte das Problem, dass ich geschlechtsneutrale Pronomen benutzen wollte und sie aus dem Englischen kannte, aber es gab im Deutschen keine. Ein Freund und ich dachten dann 2009, wir machen das jetzt mal schnell in der S-Bahn auf der Rückseite einer Fahrkarte. Ich habe gedacht, dass das ja nicht so schwer sein kann. Das hat nicht gestimmt. Es war schwerer als gedacht, weil es im Deutschen eine ganze Deklination braucht. Dadurch ist es im Deutschen auch schwerer als im Englischen, so etwas zu etablieren. Aber dass es jetzt verwendet wird, freut mich ungemein. Das ist ein super cooles Gefühl. Das zeigt aber auch, dass es da eine Lücke gab.

Warum ist es so wichtig, dass „xier“ eine Deklination hat?
Ich wollte das Pronomen ja in Texten verwenden und für die Texte brauche ich die Grammatik: Ich muss einen Unterschied zwischen Nominativ und Akkusativ haben, weil der Bezug sonst nicht klar ist. Das ist im Englischen anders. Deswegen war die Deklination für mich wichtig, damit ich Texte schreiben kann und alles habe, was ich brauche.

Aber ich habe auch oft zu anderen Menschen gesagt, dass man sich mündlich nicht an die Regeln halten muss und vielleicht immer „xier“ in der Grundform verwenden kann. Ich habe auch Feedback von Übersetzer*innen bekommen, dass diese fertige Grammatik es ihnen erleichtert hat, „xier“ zu verwenden.

Was ist das Besondere an Pronomen der dritten Person? Warum unterscheiden wir bei Pronomen der ersten und zweiten Person wie „ich“ und „du“ nicht zwischen männlich und weiblich, bei Pronomen der dritten Person schon?
Ich nenne die Pronomen der dritten Person oft „Tratschpronomen“, um mich über sie lustig zu machen. Pronomen der dritten Person werden ja verwendet, um über mich zu reden, wenn ich nicht da bin. Da ich dann nicht dabei bin, ist es auch schwieriger, dass dann die Pronomen verwendet werden, die ich mir wünsche. Man tut Menschen, die ihre Pronomen gewechselt haben aber einen Gefallen, wenn man dann auch die gewünschten Pronomen verwendet oder andere korrigiert, damit sich diese etablieren.

Dass wir in der dritten Person zwischen männlich und weiblich unterscheiden, hat vielleicht was mit dem Tratschen zu tun:  Das man diese Einordnung braucht, wenn man über andere Menschen redet.

Im Deutschen gibt es ja mittlerweile eine ganze Reihe an geschlechtsneutralen Neopronomen, die sich dem entgegenstellen. Warum müssen es so viele sein?

Ich freue mich total, dass es jetzt so viele Möglichkeiten gibt. Ich erinnere mich noch als vor zehn Jahren im Englischen auch sehr viele unterschiedliche Neopronomen gab und jetzt hat sich „they“ etabliert und wird breit genutzt. Da bin ich einfach gespannt, was sich im Deutschen durchsetzen wird. Die Vielfalt ist im Moment ja auch noch eine Möglichkeit der Auswahl für Übersetzer*innen und die Menschen, die ihre Pronomen auswählen. Die Entscheidung, wer man ist, ist eine individuelle Entscheidung, genauso wie die Pronomen. Ich kann mir aber vorstellen, dass die Vielfalt auch wieder zurückgeht, wenn sich etwas etabliert hat. Dafür braucht es aber erstmal die Vielfalt, um zu überlegen, was am besten ist.

Trotz der vielen Möglichkeiten, haben viele Menschen Schwierigkeiten, für sich ein deutsches Äquivalent für „they“ zu finden. Woran liegt das?
Mir geht es da ähnlich. Ich verwende kontextabhängig verschiedene Pronomen und was mir bei „xier“ selbst auch noch fehlt, ist die Verbreitung. Jetzt, wo es sich mehr verbreitet merke ich: ‚Oh ja cool, das mag ich verwenden, weil es Leute verstehen‘. Ein Pronomen zu verwenden, das zu wenig Leute verstehen, fühlt sich blöd an. Da ist ja auch noch ein bisschen die Gefahr eines Freak-Pronomens in Kontexten, in denen Leute das Pronomen nicht kennen.  Im Englischen ist das durch die Verbreitung ganz anders, da fühlt sich das „they“ dann auch heimischer an. Da sind wir im Deutschen vielleicht einfach noch nicht an dem Punkt.

In vielen Kontexten würden „xier“-Pronomen zu sehr rausstechen, weil sie noch nicht so stark etabliert sind. Um Leser nicht zu stark vom Inhalt abzulenken, verwende ich dann „sie“- Pronomen oder neutrale Formen ohne Pronomen für mich.

Was sagst du zu Kritikern, die darauf beharren, das etablierte Deutsch, z. B. aus dem Duden zu verwenden?
Das ist halt Quatsch, weil im Duden ja drin steht, was benutzt wird. Wörter werden ja nicht erst benutzt, wenn sie im Duden stehen. Da fehlt vielleicht auch das Wissen, wie Sprache funktioniert. In der Sprache kommt ja niemand und sagt, wie es gemacht wird. Hässlich finden kann man die Pronomen auf jeden Fall oder blöd in der Verwendung, aber das verändert sich ja eh mit der Zeit, wenn es benutzt wird.

Einerseits hast du „xier“ erfunden und entwickelt, andererseits sollten Pronomen Allgemeingut sein und gehören niemanden. Wie gehst du mit diesem Zwiespalt um?
Es fühlt sich für mich nicht an wie ein Zwiespalt. Das ist eher eine Frage, die andere Menschen beschäftigt: Viele Übersetzer*innen fragen mich, ob es okay für mich ist, wenn sie „xier“ benutzen. Aber ich habe „xier“ ja in die Welt geschickt, dann ist es ein Stück weit auch nicht mehr meins. Ich finde es aber schon cool, wenn vermerkt wird, welche Version von „xier“ verwendet wird und auf meine Webseite verlinkt wird, damit Menschen nachschauen können, wie das Pronomen funktioniert. Es freut mich aber auch total, wenn das Pronomen ein Eigenleben hat und Menschen es verwenden, ohne von mir zu wissen. Ich werde die Pronomen weiter beobachten und vielleicht neue Versionen veröffentlichen, aber ich werde auch irgendwann keinen Einfluss mehr auf die Verwendung haben.

Was ist das für ein Gefühl, wenn du jetzt in Filmen, Serien und Romanen das „xier“-Pronomen entdeckst?
Das Gefühl ist echt ‚Wow, krass!‘. Es ist so krass cool, dass es jetzt eine Kinderserie gibt, in der ein Kind das „xier“-Pronomen verwendet. Der Grund warum das so cool ist, ist natürlich auf der einen Seite schon, dass ich damit angefangen habe. Mir ist aber gar nicht so wichtig, dass es jetzt „xier“ geworden ist, sondern das stärkere ‚Wow‘ ist, dass es jetzt so ein Pronomen gibt. Gerade bei einer Kindersendung freut es mich, dass Kinder so erfahren, dass sie auch ein anderes Pronomen als „er“ oder „sie“ haben dürfen. Wenn ich das mit fünf Jahren gewusst hätte, wäre ich vielleicht viel schneller darauf gekommen, dass ich nichtbinär sein kann und nicht Frau oder Mann sein muss.

Vielen Dank Illi Anna Heger für das Gespräch!


Titelbild: © Illi Anna Heger, 2021

Carla L. Moritz

isst gerne Brezel mit Honig und Marmelade übereinander und liebt es auch sonst Neues auszuprobieren.

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