Warum es sich lohnt, über Organspenden nachzudenken. Als er ein Jahr alt war, machten die Ärzte einen schwerwiegenden Fehler. Matthias sollte aufgrund eines Nierenschadens eine Niere entfernt werden, doch die Ärzte entnahmen beide. Um gesund weiterzuleben brauchte Matthias eine neue Niere. Die Zeit des Wartens verbrachte er zu Hause, musste aber ständig zu Untersuchungen und Kontrollen ins Krankenhaus. Die Zeit verging, doch das Glück war auf seiner Seite. Nach nur sechs Monaten fand sich ein anonymer Spender und Matthias konnte in ein neues Leben starten.
Natürlich erinnert sich der Student nicht mehr an die Transplantation, trotzdem bleibt sie ein Bestandteil seines Lebens. Er muss weiterhin regelmäßig Medikamente nehmen und zu Kontrolluntersuchungen ins Krankenhaus. Die Gefahr, dass sein Körper die transplantierte Niere abstößt, ist nach so vielen Jahren aber eher gering: Während die Niere in den ersten fünf Jahren nach der Transplantation noch bis zu 70% ihrer Funktion einbüßen kann, verringert sich dieses Risiko danach deutlich. Ein Restrisiko besteht selbst heute noch, aber ohne Spende würde er wohl kein normales Leben führen können.
Zurzeit warten in Deutschland etwa 12.000 Menschen auf eine Organspende und die wenigsten haben so viel Glück wie Matthias. Das Transplantationsgesetz in Deutschland sieht ein erweitertes Zustimmungsgesetz für Organspenden vor. Das bedeutet, dass ohne die Zustimmung des Patienten oder der direkten Angehörigen keine Organe entnommen werden dürfen. Die Zustimmung kommt aber leider viel zu selten, was zu langen Wartelisten führt. Außerdem haben zu wenig Menschen einen Organspendeausweis. Eine andere Möglichkeit, wie sie zum Beispiel in Österreich gängig ist, wäre die Widerspruchslösung. Diese besagt, dass alle in Österreich lebenden Menschen potentiell als Spender in Frage kommen, es sei denn, den Ärzten liegt eine Widerspruchserklärung des Patienten vor. In Deutschland konnte man sich aber noch nicht darauf einigen.
Lebendspenden, wie bei Nieren und Leber möglich, dürfen in Deutschland nur noch im Verwandtenkreis durchgeführt werden. Um Organhandel vorzubeugen, muss der Spender dem Empfänger persönlich nahe stehen und beide sind verpflichtet an einer Nachbetreuung teilzunehmen. Ein bekanntes Beispiel ist Frank-Walter Steinmeier, der seiner Frau eine Niere gespendet hat. Doch alle anderen Organspenden, wie Herz, Lunge, Bauchspeicheldrüse oder Darm, können erst nach Feststellung des Hirntods durchgeführt werden. Solange man keinen Organspendeausweis besitzt, wie 83 % aller Deutschen, müssen die Angehörigen in dieser Situation entscheiden, ob Organe gespendet werden dürfen. Um diese sensible Frage in einer solchen Situation zu vermeiden, ist es ratsam, sich frühzeitig mit dem Thema Organspende auseinanderzusetzen und Angehörige über seine Entscheidung zu informieren. Auch Matthias hat sich einen Ausweis zugelegt, um anderen Menschen nach seinem Tod helfen zu können.
Wenn man sich für eine Organspende entschieden hat, sieht der Ablauf bei einer postmortalen Spende folgendermaßen aus: Nachdem der Hirntod eines Patienten festgestellt wurde, können die Organe entnommen werden. Durchschnittlich vergehen zwischen sieben und achtzehn Stunden zwischen der Feststellung des Todes und der Organentnahme. Das Krankenhaus schickt eine Meldung mit allen wichtigen Informationen, wie der Blutgruppe und Gewebemerkmalen, an die „Deutsche Stiftung Organtransplantation“. Diese koordiniert alle Organspenden in Deutschland und leitet sie an die europäische Vermittlungsstelle „Eurotransplant“ weiter. Dort wird nach einem Punktesystem, das sich nach der Wartezeit, der Blutgruppe und der Dringlichkeit richtet, ein passender Empfänger ermittelt. So werden Kinder zum Beispiel bevorzugt. Ist ein passender Empfänger gefunden, muss es schnell gehen. Der Patient und das Krankenhaus werden verständigt und die Transplantation kann beginnen. Abhängig von den einzelnen Organen liegt die Zeit bis zur Transplantation bei 12 – 24 Stunden nach der Entnahme.
Doch warum gibt es überhaupt so wenig Spender? Zum einen, weil das Thema in der Öffentlichkeit nicht ausreichend diskutiert wird. Wer macht sich schon gerne Gedanken über seinen Tod? Es gibt aber auch ablehnende Haltungen. Menschen, die sich bewusst gegen eine Organspende entscheiden. Die vorgebrachten Argumente reichen von der Religionszugehörigkeit bis zum Zweifel an Ärzten. Was viele nicht wissen ist, dass die Deutsche Bischofskonferenz eine Stellungnahme veröffentlicht hat, in der sie Organspende als Zeichen der Nächstenliebe einordnet. Genauso sehen es auch Vertreter anderer Religionen, wie im Islam oder im Judentum. Das höchste Gut vieler Religionen besteht darin, Leben zu retten, solange keinem anderen geschadet wird.
Genau da schließt sich auch schon der zweite Zweifel an. Was bedeutet der Hirntod medizinisch überhaupt? Der Hirntod beschreibt den Ausfall aller Hirnfunktionen. Die Körperfunktionen können also noch aufrecht erhalten werden, auch wenn man für hirntot erklärt ist. Die Nervenzellen im Hirn sind aber irreversibel zerstört und somit ist das bewusste Leben beendet. Medizinisch wird mit diesem Zustand der Tod festgestellt und bei einer Organspende müssen zwei Ärzte, die nicht an der Transplantation beteiligt sind, den Hirntod unabhängig voneinander feststellen. Die Angst, dass dieser aus der Not heraus definiert wird, um an die Spenderorgane zu gelangen, ist also unbegründet. Man ist definitiv tot, bevor einem die Organe entnommen werden.
Es heißt, dass man mit einer postmortalen Organspende drei Menschenleben retten kann. Ob das so stimmt lässt sich nicht wirklich beweisen, aber es klingt gut als ein Argument. Daran anschließen lässt sich auch die Begründung, die die meisten Spender anführen: Sie spenden ihre Organe aus Mitgefühl, um anderen zu helfen, wenn sie selbst keine Möglichkeit mehr dazu haben. Trotzdem gibt es nicht genug Spender in Deutschland. 2009 wurden etwa 3.400 Nieren benötigt, es konnten aber nur 2.772 transplantiert werden und zurzeit warten noch circa 8000 Patienten auf ein Organ. Die Wartezeit der Betroffenen verlängert sich dadurch unnötig. Durchschnittlich muss man heute fünf bis sechs Jahre auf eine neue Niere warten, auf andere Organe noch länger.
Es ist also sinnvoll, sich mit dem Thema zu beschäftigen und sich für oder gegen einen Organspendeausweis zu entscheiden. Selbst wenn man sich aus eigener Überzeugung gegen eine Organspende ausspricht, hat man seinen Angehörigen die Verantwortung der Entscheidung abgenommen.
Von Anna-Lena Gundelach