“Ich mag es gerne, Abwechslung in meinem Beruf zu haben.” – Steven Shade im Interview

Habt ihr euch auch schon immer gefragt wer eigentlich dieser Typ ist, der euch und all euren Freunden bei Facebook seit Jahren in regelmäßigen Abständen Freundschaftsanfragen schickt?

Wer im Instagramprofil mehr als drei Angaben zu seiner beruflichen Tätigkeit hat, der hat bekanntlich ja schonmal das Leben gewonnen. Noch smarter ist es allerdings, wenn diese sich auch auf eine bestimmte Branche beschränken – Booker, DJ, Influencer, Promoter und coole Sau – damit ist für alle Zeiten ein Platz am Fame-Himmel sicher. Aber mal im Ernst: Klar, dass das meist nach unseriösem Mist klingt, wenn man kurz weiter denkt, wird einem jedoch relativ schnell bewusst, dass sich so ein Leben nicht nur am Schlafminimum orientiert, sondern auch ziemlich nice ist und jemand dahinter steckt, der zumindest schon mal weiß, wie man sich nicht langweilt.

Steven Shade – Wer nicht weiß, wer das ist, fragt einfach irgendwen, denn der DJ ist, unbestreitbar, eine Größe in Lüneburg. Obwohl man eine Menge seines Lebens und Schaffens im Internet in sozialen Netzwerken oder Zeitungsinterviews findet, wollten wir es nochmal genauer wissen. Wer ist Steven Shade überhaupt und warum addet er uns alle bei Facebook? 

Hier also nun die Origin Story eines der bekanntesten Gesichter der Lüneburger Musikszene:

 

Erinnerst du dich noch an deinen ersten Auftritt als DJ und deine Anfangszeit in der Musikszene?
Mit 19 habe ich angefangen, Parties zu veranstalten. Irgendwann interessierte ich mich auch dafür, Musik miteinander zu vermischen und daraus neue Sounds zu kreieren. 

Als ich 2013 nach Lüneburg gezogen bin, habe ich angefangen selber aufzulegen. Die Technik hab ich mir von Freunden ausgeliehen, weil ich selber noch gar keinen Laptop hatte. Meinen ersten eigenen richtigen Gig hatte ich in der Garage, wo ich tatsächlich dann jeden Übergang verkackt habe. Das war eine Tomorrow Island Party, wo ich dann diesen typischen Deephouse von Robin Schulz und Oliver Schories gespielt habe. Später fing ich an, Electro Swing aufzulegen, weil ich in einer Sub-Agentur von Parov Stelar war. 

Als ich auf der Fusion aufgelegt habe, war ich super aufgeregt. Da wollte ich gar nicht mehr auf die Bühne, weil ich mir vorher vier Flaschen Vodka Mate reingeballtert habe, um mich einigermaßen zu entspannen. Bei einem Schluck hab ich dann alles daneben, und auf mein Shirt gekippt. Das sah richtig scheiße aus. Ich hab’ dann die ganze Zeit versucht das zu trocknen, weil mich vor der Bühne 3000 bis 4000 Menschen erwartet haben. Vor mir haben aber zum Glück Kalletti Klub gespielt – ich war deren Booker, Manager und Tour DJ – und die haben die Leute auf die Bühne geholt, sodass ich dann gar nicht mehr gesehen habe, was vor mir abging, weil die ganze Bühne voll mit Menschen war und ich dann mittendrin aufgelegt habe. 

Zunächst hast du ja in Celle Drum and Bass Parties veranstaltet…
Ja Celle ist eine Drum and Bass Hochburg. Das hat irgendwas mit der musikalischen Kultur dort zu tun. Aber das ist in den meisten Städten so, wo englische Soldaten stationiert waren, weil das ja eine englische Musik-Stilrichtung ist.

Welche Verbindung hast du zu deinem Geburtsort L.A.?
Klar, ich bin stolz Amerikaner zu sein, genauso wie ich auch stolz darauf bin Deutscher zu sein. Aber ich muss gestehen, dass ich mich eigentlich gar nicht mehr daran erinnern kann. Ich bin ’89 oder ’90, also noch vor dem Mauerfall, mit meiner Mutter nach Deutschland gekommen. Sie hatte sich von meinem Dad geschieden. Ich hatte, bis ich 18 war, eigentlich keinen Kontakt zu meiner amerikanischen Familie. Aber irgendwann hatte ich dann natürlich auch so eine Art Identitätskrise. Da fängt man schon an, ein bisschen neugierig zu werden. Ich habe meinen Onkel gegoogelt und war dann mit ihm in Kontakt. Darüber habe ich dann meinen Dad kontaktiert und bin 2006, ganz spontan, mit einem Rucksack ohne Klamotten, aber mit ‘ner Zahnbürste, nach L.A. geflogen und habe meine Familie besucht. Ich hab’ dann da gearbeitet, von dem Geld ein paar Klamotten gekauft und kam dann mit zwei Reisetaschen wieder zurück nach Deutschland. 

Von Celle aus ging es ja dann für dich weiter nach Lüneburg, wo du bis heute lebst. Warum bist du hier geblieben?

In Celle trennten sich die Wege meines Partners und mir, also schloss ich mich dann der Celebration Crew an, zu der unter anderem auch MC Stunnah gehört. Die haben alle Musik gemacht, aber keiner hatte Bock auf Party-Organisation. Ich war damals heiß gelaufen und wollte mich beweisen. Dadurch, dass die englischen Soldaten dann aber wieder nach England abgezogen wurden, brach die Gastronomie Branche ein, die Clubs schlossen, was mich mehr oder weniger dazu zwang, die Stadt zu verlassen.
Für mich gab’s auch keine Option, etwas anderes zu machen. Durch meine alten Kontakte konnte ich dann in die Garage reinschnuppern und habe mich gleich mit denen verstanden. Das erste Event, das ich da gemacht habe, war ein Dubstep Konzert mit Bulldogs, mega krasser Act! An dem Tag war leider auch eine Closing Party von Funky Beats im Salon Hansen mit ‘nem Katermukke Act, und dementsprechend war ja klar, dass dann alle dort waren. Bei mir war keiner, ich hab ordentlich Miese gemacht. Aber wir (die Garage und ich) mochten uns. Ich hab gesehen, dass dieser Laden Hilfe braucht. Ich wurde dann immer mehr eingebunden, sodass ich am Ende versucht habe, den Laden irgendwie über Wasser zu halten. Hat nicht funktioniert. Ich habe das Geschäft gewechselt, war aber maßgeblich daran beteiligt, dass das 3raum – also die jetzigen Betreiber der Garage – auch dorthin kamen. Ein halbes Jahr nach dem Wechsel der Betreiber in der Garage wechselte ich zum Campus Management und wollte dort mit dem Vamos und der Ritterakademie das Programm für die Studenten interessant machen. Unter anderem Gestört aber Geil, Alle Farben oder die Turntable Hools (KIZ) kamen durch mich.

Du bist ja Booker und DJ und hast dein eigenes Label gegründet. Wie anstrengend ist das für dich, so viele Dinge auf einmal zu machen? Gibt es Sachen die dich total nerven?
Ich mag es gerne, Abwechslung in meinem Beruf zu haben. Unter der Woche arbeite ich als Künstlervermittler in einer eigenen Agentur, die ich mit meinem Kollegen Davide gegründet habe. die heißt Cosy. Dann arbeite ich als Assistent für My Favourite Freaks, wo wir Weltstars im Profil haben. Nebenbei habe ich mein eigenes Label gegründet. Tatsächlich durch den Menschen, mit dem ich die Drum and Bass Parties anfing. Mir ging’s halt darum, dass Soundcloud und die ganzen Netzwerke für DJs immer unwichtiger werden und die breite Masse einen Spotify Account hat. Ich wollte unbedingt meine Musik dort selbst vertreiben, hab’ aber nicht gewusst, dass man dafür ein Label gründen muss. Irgendwann kam ich dann auf den Namen Do Love Resist Hate, weil ich die Message ganz cool fand. Klar, viele fanden das dann vielleicht auch lustig, dass das Akronym DLRH heißt, was dann zu dem Bild, dass die Lüneburger Studenten von mir haben, sehr witzig ist. Ja, so entstand das dann halt. Hab‘ mich dann entschlossen, mit dem Label immer wieder gesellschaftliche Probleme anzusprechen. Wie mein erstes Release, zum Beispiel, wo es um Bipolare Störungen geht. Der nächste Song ist meiner Exfreundin gewidmet, Sad Girl, wo ich eben auch die Thematik Depression ansprechen wollte. Jetzt plane ich einen Track über Borderline.
Ansonsten habe ich seit 2014 noch meine eigene Veranstaltung im Salon Hansen. Ich würde gerne auch wieder Techno & House etablieren, aber das funktioniert heutzutage in Lüneburg nicht mehr. Die Musik ist irgendwie ausgestorben. Das war früher die populärste Musik mit einer riesigen Community und auch einer der Gründe, warum ich hier nach Lüneburg zog. Früher waren so Leute wie Alle Farben im Salon Hansen, da ging die Schlange bis oben zum Bäcker. Heute ist man froh, wenn 100 Leute reinkommen.

Was hat Social Media für dich für eine Bedeutung, im Beruf, wie privat?
Als ich damals mit den Parties anfing, da gab’s noch gar kein Social Media. Da musste man tatsächlich in die Innenstadt und jedem Menschen einen Flyer in die Hand drücken und Plakate aufhängen. Ich war einer der ersten, der dann immer in die Stadt musste. Ich hasse es, Menschen irgendwas auf der Straße anzudrehen. Ich hab dann gemerkt – damals gab’s noch StudiVZ und Myspace – dass man darüber ganz einfach, komfortabel und kostengünstig, gezielt Werben kann. Man erstellt einen Account, sammelt so viele Kontakte wie es geht und ballert die mit Werbung zu. Wenn dann 20 Prozent davon das annehmen, ist das in Ordnung. Zum Anderen muss man sich bewusst sein, dass man einen ganz großen Teil seiner Privatsphäre verliert. Man kann allerdings auch ganz leicht Menschen etwas vorgaukeln, was sich heutzutage ja Influencer nennt.

Gibt es etwas, das du gerne noch loswerden möchtest?
Kommt immer zu den Parties. Hausparties töten die Clubkultur. Das ist auch einer der Gründe, warum es in Lüneburg mittlerweile so ein grauenvolles Angebot gibt. Wenn man sich zum Beispiel den Veranstaltungskalender von vor drei Jahren anschaut, da waren das Beginner-Soundsystem im Hansen, Kid Simius. Das war geil, da hatten alle noch Bock. Irgendwann fingen die Leute aber an, keinen Bock mehr zu haben, Geld für Parties auszugeben. Es hat sich dann so eine “High Life for Low Budget“ Mentalität eingestellt, wodurch diese ganzen Veranstaltungen nicht mehr stattfinden konnten, weil die Leute anstatt dahin zu gehen, lieber auf irgendeine WG oder Hausparty gingen. Dadurch sind Veranstalter in existenzielle Probleme geraten, weil die Leute einfach wegblieben und die Kosten ja, unabhängig vom Erfolg, getragen werden müssen. Da sollte einfach jeder mal ein bisschen nachsichtig sein.

Dann sind wir auch schon am Ende. Vielen Dank für das Gespräch!

Zum Schluss lässt sich nur sagen: auch, wenn Stevens Medienpräsenz für manche ein bisschen much wirkt, ertappt sich doch jeder ab und zu dabei, dass der Name aus seinem Mund purzelt. Der junge Mann scheint also allzu gut zu wissen, was er da eigentlich macht. Ein klein wenig strange vielleicht, ein klein wenig drüber, aber würden wir uns nicht alle manchmal wünschen etwas mutiger und authentischer zu sein? Also beim nächsten Mal facebooken einfach mal wieder ein paar Anfragen an random Leute schicken, im Pass den Geburtsort nach Bali verlegen und dem Namen ein bisschen mehr Bums verleihen. Dann klappt es bestimmt auch ein bisschen besser mit dem Influencer Life.


alle Bilder: © Steven Shade