Ein Interview mit Sascha Spoun
Univativ: Warum sind Sie nach Lüneburg gekommen?
Dr. Sascha Spoun: Im Sommer 2005 wurde ich von der Findungskommission angesprochen und eingeladen mich zusammen mit mehreren Bewerbern vorzustellen, was eine Idee für die Zukunft der Universität Lüneburg nach der Fusion sein könnte. Der Grund warum ich gekommen bin, war die einstimmige Wahl in Findungskommission, Senat und Stiftungsrat.
Hat Sie auch die Stadt Lüneburg angezogen?
Spoun: Die Stadt Lüneburg ist ein wichtiges Argument. Ich glaube, sie gehört zu den schönsten Städten Deutschlands. Es ist eine der wenigen Städte, in denen man gerne und gut leben kann.
Sind die deutschen Studenten im internationalen Vergleich zu alt?
Spoun: Nein. Entscheidend bei Studierenden ist die Leidenschaft für das Studium, das Interesse an Fragen, das Interesse an Neuem und daran Grenzen zu überschreiten. Das ist unabhängig vom Alter. Die Debatte muss um Inhalte gehen, nicht um Altersfragen.
Welches ist Ihrer Meinung nach der größte Unterschied zwischen Schweizer – und Deutschen Studenten?
Spoun: Da gibt es erstaunlich viele Unterschiede. Ich glaube, die Schweizer Studierenden sind in vielen Punkten sehr viel zurückhaltender oder anders formuliert: Die Deutschen Studierenden sind an einigen Stellen sehr viel direkter. Man darf daraus aber keine falschen Schlussfolgerungen bezüglich Interesse und Qualität ziehen. Das hat etwas mit der Kultur zu tun. Ich glaube, die Deutschen zeigen sehr viel stärker, wenn sie etwas können oder wenn sie etwas wollen oder wenn sie etwas meinen. Sie kennen ja die sprichwörtliche Berner Langsamkeit…[lacht]
Stimmt es, dass Sie noch immer in der WG in St. Gallen wohnen, wie zu Studienzeiten?
Spoun: [lacht] Ja, es ist eine sehr schöne Wohnung und es ist ein großes Glück sie immer noch zu haben.
Sie waren zwei Jahre Präsident der Studentenschaft in St. Gallen. Was sagen Sie dazu, dass immer mehr Initiativen an der Uni einen Mitgliedermangel zu verzeichnen haben, weil die Studenten unter chronischem Zeitmangel leiden?
Spoun: Wesentlich ist das Studium nicht nur als eine Ansammlung von Lehrveranstaltungen zu verstehen, sondern als eine Lebensphase, in der man ganz verschiedene Erfahrungen sammeln will und auch sammeln kann. Lernen ist ein vielfältiger Prozess, es ist einer zwischen Professorin und Student, aber genauso unter den Studierenden selbst. Gerade diese Initiativen bieten die Gelegenheit, eigene Projekte mit Kommilitoninnen und Kommilitonen zu verwirklichen. Ich habe dort sehr viel gelernt und würde das auch nicht missen wollen. Deswegen kann ich auch nur allen empfehlen, sich in Initiativen zu engagieren. Wir wissen, dass viele attraktive Universitäten ein reichhaltiges Campusleben und sehr viele studentische Initiativen haben. Auch hier, an der Leuphana Universität: im DSI sind 25 Initiativen organisiert und es gibt die Möglichkeit sich hochschulpolitisch zu engagieren bspw. im AStA oder StuPa.
Was haben Sie denn persönlich mitgenommen aus Ihrem Engagement an der Uni?
Spoun: Als erstes natürlich eine Reihe von Freundschaften, damals aus der Zeit der Studentenvertretung, mit denen ich heute nach wie vor noch in guter Verbindung stehe. Das Zweite ist die Erfahrung, dass – wenn man sich anstrengt – man tatsächlich Dinge erreichen kann, die vorher unmöglich erschienen. Das Dritte sind Unterschiede zwischen Ideen und Wirklichkeit. Zwischen Ideen aus dem Lehrbuch und gelebter Wirklichkeit. Ich glaube, gerade in den studentischen Initiativen, wo es ja um die Sache geht und nicht um irgendeine Berufstätigkeit, tauchen diese Aspekte sehr viel stärker auf.
In Ihrem Büro brennt noch weit in die Nacht das Licht. Man spricht von einem 15 Stunden Arbeitstag bei Ihnen. Wann schlafen Sie noch?
Spoun: [lacht] Am Wochenende schlafe ich sicher mehr als unter der Woche. Das Interessante ist, man kann es gewissermaßen trainieren, auch mit weniger Schlaf leistungsfähig zu sein. Andererseits könnte man natürlich auch sagen, was ich in einem acht oder zehn Stunden Tag nicht erreichen kann, dafür sollte ich nicht mehr Zeit aufwenden, weil ich sonst etwas falsch mache. Aber wir sind hier jetzt gerade in einer Phase der Veränderung und diese stellt viele Fragen und produziert Unsicherheiten. Daneben gibt es eine Reihe von Themen, die wir im Moment gleichzeitig verfolgen müssen, weil sich gute Chancen bieten oder weil dringende Notwendigkeiten bestehen. Zeitlich muss man sich halt darauf einstellen.
Was ist mit Werten wie Solidarität, zum Beispiel zu Gruppen für die es schwer ist ein Gehör zu finden?
Spoun: Solidarität ist einer der Werte, die wie ein informelles Verbindungs- und Vertrauensband wirken. Das heißt, ohne eine gewisse gelebte Zusammenarbeit, werden Sie nie Erfolg haben.Es ist immer zu sehen, dass dies nicht nur kleinere, sondern auch größere Gruppen betrifft. Diese Erweiterung des Horizonts der Solidarität fällt vielen Menschen sehr schwer.
Wo tanken Sie wieder Energie auf?
Spoun: Da gibt es zwei Typen von Situationen. Die einen Situationen sind diejenigen eines gewissen Rückzuges, anregungsarm, in denen Sie die Gelegenheit haben, dass die vielen Dinge die passieren, noch einmal vor Ihrem geistigen Auge vorbeifahren. Das ist eine wichtige Phase. Eine zweite Phase sind Anregungen, Themen oder Aktivitäten mit anderen Menschen als denen aus meinem Hauptjob. So dass Sie immer erkennen können, was wichtig und was weniger wichtig ist. Das Schlimmste wäre, wenn Sie Maßstäbe verabsolutieren würden. Dieser Sprung in dem Dreieck zwischen persönlichem Rückzugsgebiet, eigentlicher Hauptaufgabe und weiteren Tätigkeiten, die davon unabhängig sind, kann helfen eine Balance zu halten.
Was war Ihr Berufswunsch als Sie noch ein Kind waren?
Spoun: Die Berufswünsche haben gewechselt. Einer davon war Geschichtslehrer.
Hatten Sie einen Geschichtslehrer der Sie beeindruckt hat?
Spoun: Ich habe mich für das Werden von Dingen interessiert. Durch den Lateinunterricht werden Sie natürlich sehr stark in eine vergangene Zeit zurückversetzt und fangen als junger Mensch dann auch an, in dieser Zeit zu leben. Ich glaube, das wird daher rühren. Das Interessante ist ja, dass das Berufsleben anders wird als man erwartet. Ich kannte die Uni Lüneburg vorher nicht und das ist, was es spannend macht. Ich glaube auch, dass sich die Studierenden heute darauf einstellen sollten, dass sie in ihrem Berufsleben, das ja bis weit über das Jahr 2050 hinausreichen wird, ganz verschiedene Aufgaben in verschiedenen Organisationen wahrnehmen werden.
Gehen Sie manchmal in Lüneburg aus? Wenn ja: Was ist Ihr
Lieblingslokal?
Spoun: Es gibt zwei Gelegenheiten wenn ich in Lüneburg ausgehe. Entweder wenn wir hier abends länger im Büro gearbeitet haben, mit denjenigen die durchgehalten haben oder eben wenn es Gäste an der Universität zu betreuen gibt. Dementsprechend wechselt das je nach Gelegenheit. Ich habe aber noch nicht alle Lokale in Lüneburg kennengelernt.
Fehlen Ihnen die Berge?
Spoun: Ich nehme mir die Freiheit, mich ab und zu in die Nähe oder direkt ins Gebirge zu begeben.
Welches ist Ihr aktueller Lieblingsfilm?
Spoun: Vermutlich ist das Thema „Film“ jetzt eines, das ich zurückgestellt habe. Sie müssen einfach in meiner Situation gewisse Prioritäten setzen. Ich verfolge die Filme zurzeit maximal aus dem Feuilleton.
Was zeichnet eine gute Universität aus?
Spoun: Dass die Menschen gerne an ihr tätig sind. Ich glaube, die Frage der persönlichen Verbindung, rational und emotional, ist ganz entscheidend. Wenn Sie sich die verschiedenen Orte anschauen, dann sind es solche Initiativen, wie die Ihre, Univativ, die weit über das hinausreichen, was das Pflichtprogramm ist. Dies ist was die Uni lebenswert macht. Ich glaube auch, dass eine Verbindung während der Studienzeit und darüber hinaus, das heißt eine Verbindung unter Studierenden, mit den Lehrenden zusammen, auch nach dem Abschluss, ein ganz wichtiges Zeichen ist für eine gute Universität. Denn Sie haben in der Regel nur eine Alma Mater und entsprechend ist das ein wichtiger Punkt. Ein anderer Aspekt ist derjenige, dass die Universität einen selbst an die Grenzen führen soll, an die Grenzen dessen, was man bislang gewusst hat, an die Grenzen dessen, was man für erreichbar hält, an die Grenzen der eigenen Disziplin, an die Grenzen des allgemeinen Horizonts. Das heißt, eine Universität ist ein Ort der Erkenntnissuche, der sowohl in einer inhaltlichen Tiefe des vorhandenen Interessengebietes als auch in der Breite darüber hinaus dienen sollte.
Also durchaus auch fordernd?
Spoun: Aus meiner Sicht: Ja. Denn das Leben wird reichhaltiger, wenn Sie gefordert werden und sich fordernden Situationen stellen. Nicht nur das eigene Leben, sondern auch der mögliche Beitrag, den Sie leisten können in Ihrem Berufsleben, Ihrem Privatleben, in Vereinen ist dadurch sehr viel größer. Letztendlich kommen Sie ja als Studierende an die Universität, weil Sie wachsen wollen und denken, dass Sie an der Universität am Besten wachsen können. Ich glaube auch, dass die Zufriedenheit damit letztendlich steigen kann, eben nicht nur der Leistungsaspekt, sondern auch der persönliche Aspekt. Denken Sie zum Beispiel daran, sich ein Ziel in der Musik oder im Sport zu setzen – wenn Sie erkennen, dass Sie es erreichen können, geht’s Ihnen ziemlich gut.
Wo sehen Sie die Leuphana in fünf Jahren?
Spoun: Die Leuphana Universität sehe ich im Kreis der mittelgroßen deutschen Universitäten, die für ihr fachliches Wissen und für ihre Attraktivität als Universitätsort, also als einen Punkt, an dem man gern zusammenkommt, bekannt und profiliert sind. Wenn Sie sich die Uni Konstanz oder die Uni Bayreuth anschauen, sind das auch jüngere Gründungen, die für ein spezielles Profil stehen und ich glaube, so etwas ist auch für Norddeutschland interessant. Wir sind dabei, hier mit sehr viel Aufwand und Energie ein Profil aufzubauen. Wenn wir dafür bekannt sind, ein besonders herausragendes, interessantes und vielgestaltiges erstes Studium anzubieten, welches das Lösen von bevorstehenden Problemen in den Mittelpunkt stellt und für lebenslanges Lernen vorbereitet: Ja, das würde ich sehr gut finden, wenn uns das gelänge. Auf der fachlichen Seite haben wir die Entwicklungsschwerpunkte im Bereich Lehrerbildung, unternehmerisches Denken und Handeln, Kulturforschung und Nachhaltigkeitsforschung. Das sind zentrale Themen der Zivilgesellschaft. Wenn wir dafür als Expertinnen und Experten auf verschiedenen Ebenen gefragt sind, in der Wissenschaft, in der Praxis und in der Berufstätigkeit, dann führt die Entwicklung zu weiteren Perspektiven.
Was gefällt Ihnen am derzeitigen Verlauf der Universitätsentwicklung am wenigsten?
Spoun: Ich würde es abstrakter formulieren und sagen, dass viele Themen sehr aufwendig sind und sehr viel aufwendiger als sie sein müssten. Das ist eine, optimistisch formuliert, zentrale Herausforderung. Was am wenigsten gefällt ist, dass es nach wie vor wichtige Themen gibt, die wir insgesamt noch nicht bearbeitet haben oder noch nicht zum Erfolg führen konnten. Bei denen einfach noch weiterer Handlungsbedarf besteht, weil immer neue Probleme in den Weg gerollt werden. Wir haben beispielsweise Aufgaben aus der Fusion, die aufgrund divergierender Interessen immer noch nicht geregelt sind.
In einem Spiegel-Interview aus dem Jahre 2006 sagten Sie, dass alle Mitglieder der Uni ein Gemeinschaftsgefühl entwickeln müssen. Kann das noch erreicht werden?
Spoun: Wir sind in guter Entwicklung, aber wir müssen bedenken, dass diese Vorstellung für eine deutsche Universität sehr fremd ist. Wir haben hier individuelle Identitäten: Lehrstuhlidentitäten, Fachidentitäten und Fakultätsidentitäten, aber praktisch keine Universitätsidentität. Wenn dann noch divergierende Vorgängerinstitutionen vorkommen, ist es noch schwieriger. Aber wir sind in der Entwicklung, wenn man sich das neue Studienmodell anschaut. Nach der Startwoche sehe ich viele freudige Gesichter.
Außerdem sagen Sie, dass Sie sich den Campus wie in England vorstellen: viel Rasen, Bäume, keine Autos und ein großes Eingangstor. Ist das noch immer Ihre Ambition?
Spoun: Die Frage eines Campus ist tatsächlich von großer Bedeutung. Auf dem Campus sind Autos und Straßen etwas Trennendes, wenn sie dort gerne zusammenkommen möchten. Wir haben hier eine gute Grundanlage und wollen jetzt durch eine weitere Campusentwicklung mit den Ideen von Daniel Libeskind einen ganz wesentlichen Schritt gehen und damit eine der attraktivsten Campusanlagen deutschlandweit schaffen. Das ist wichtig, denn wenn Sie heute nach Bildern fragen und sie assoziieren, dann fällt Ihnen vielleicht das Hauptgebäude der Humboldt Universität ein oder Heidelberg. Ob jetzt ein altenglisches Tor oder ein moderner Bau eines Symbolarchitekten – es gibt verschiedene Wege. Ein moderner Bau mit gebrochenen Linien in dieser kastenartigen Kasernenstruktur ist genau die richtige Verbindung von Vergangenheit und Zukunft; immer mit dem Gedanken an einen attraktiven Standort. Räume und Ästhetik haben eine hohe inspirierende Wirkung. Das wissen wir aus allen Kulturen und aus allen Jahrhunderten und darum ist das für die intellektuelle Arbeit, die man an der Universität leistet, so wichtig. Es ist eine der Rahmenbedingungen, mit der Sie einen großen Stimulus setzen müssen in Richtung Kreativität, Innovation, aber auch in Auseinandersetzungen mit Bauformen, Ästhetik und so weiter. Daneben gibt es eine Reihe von positiven Nebenaspekten, zum Beispiel, dass es auch inspirierend wirkt und sich eine Identifikation mit der Universität entwickeln kann.
Sascha Spoun privat:
Geburtsort: München, 1969
Cineast oder Bücherwurm?
Bücherwurm
Aktiv- oder Badeurlaub?
Aktivurlaub
Berge oder Meer?
Meer
Kochen oder Restaurant?
Kochen
Steak oder Sushi?
Sushi
Hugo Boss oder H&M?
H&M
Beatles oder Rolling Stones?
Beatles
Hund oder Katze?
Hund
Das Interview führte die Redaktionsleitung
Oder
Das Interview führten: Katarina Trost, Martin Gierczak und
Annika J. Höppner