Von typischen Frauen- und Männerberufen und von 0,024 mm Unterschied Kleine Mädchen wollen Arzthelferin, Friseurin oder Verkäuferin werden. Kleine Jungs träumen davon, später als Lokführer, Feuerwehrmann oder Autoschlosser zu arbeiten. Aber ist diese Vorstellung nicht Schnee von gestern? Sind Frauen heutzutage nicht Bundeskanzlerin, Fußballerin und Soldatin? Und sind es nicht die Männer, die sich zunehmend als Pfleger, Kindergärtner oder Erzieher behaupten? Was hat es also noch mit Frauen- und Männerberufen auf sich? Nach einer rein statistischen Definition sind Frauenberufe jene Berufe, in denen überwiegend Frauen arbeiten. Ist eine berufliche Position also zu über 80 Prozent durch Frauen besetzt, spricht man von einem Frauenberuf. Von einem Männerberuf spricht man dementsprechend, wenn mehr als 80 Prozent des Tätigkeitsfeldes von Männern ausgeübt wird. Generell können Berufe laut Rabe-Kleberg als „gesellschaftlich definierte Zusammensetzungen von spezifischen Arbeitsfähigkeiten und Wissenselementen verstanden werden, die in erster Linie in institutionell geregelten Ausbildungsgängen erworben und nach bestimmten Mustern im Arbeitsprozess organisiert werden.“
Er hat es getan: sich für eine Ausbildung entschieden, die auch heute noch als typisch weiblich gilt und der Definition zufolge als ein klassischer Frauenberuf einzuordnen ist. Er war eine der wenigen Ausnahmen. In seiner Berufsschulklasse saß ein weiterer Mann, daneben 24 Frauen. Im gesamten Jahrgang trafen die zwei Männer auf über 120 Frauen. Martin (27) hat den Beruf „Kaufmann für Bürokommunikation“ gelernt. Auf Anraten guter Freunde verließ er vor sieben Jahren seine 180 Kilometer entfernt liegende Heimatstadt und wagte den großen Schritt in ein Hamburger Verlagshaus. Gerade mal eine Bewerbung hat er geschrieben. Und er wurde prompt genommen. Im Bewerbungsgespräch erkannte man sein organisatorisches Talent und der junge Mann schien wie geeignet für das weite Feld der Assistenz, Kommunikation und Koordination in den innerbetrieblichen Abläufen. Motiviert und vor allem engagiert startete Martin in seine Ausbildung. Er wollte alles wissen, fragte nach, wo ihm Abläufe unklar waren, stieß mit seinem großen Interesse für organisatorische Hintergründe allerdings nicht immer und überall auf offene Ohren. „Engagement kann positiv oder negativ ankommen. Und manche Chefs haben eben lieber Frauen in ihrem Sekretariat sitzen“, resümiert der 27-Jährige rückblickend. „Grundsätzlich“, so sagt er, „hat Engagement natürlich nichts mit dem Geschlecht zu tun, aber an einem Punkt wurde mir ganz klar, dass ich eben doch einen klassischen Frauenberuf erlernte.“ Der Chef einer neuen Abteilung begrüßte ihn mit den Worten: „Sie sind ja wirklich ein Mann! Ich habe gedacht, das ist ein Tippfehler.“
Als der kaufmännische Auszubildende nach zwei Jahren alle Pflichtabteilungen seines Lehrberufes durchlaufen hatte, bekam er die Chance, den Blattgestaltern des Zeitungshauses über die Schultern zu blicken und war sofort fasziniert von dieser Arbeit. „Ich fragte dem Layouter im wahrsten Sinne Löcher in den Bauch, war hoch motiviert, wollte alles über diese spannende Aufgabe wissen.“ Hier stieß sein Engagement auf offene Ohren und anstatt den Rest der Ausbildungszeit in weiteren kaufmännischen Abteilungen zu verbringen, lernte er in dem verbleibenden halben Jahr so viel wie möglich über das „Zeitungmachen“. Nach seinem erfolgreichen Abschluss zum „Kaufmann für Bürokommunikation“ blieb Martin in der Layout-Abteilung. Zwei Monate nach Ausbildungsende – nach siebenmonatiger Tätigkeit als Layouter – wurde er nach München entsandt, wo er weitere zehn Monate in seinem neuen Traumjob arbeitete. Doch der junge Kaufmann wollte kein Autodidakt in dem neu erschlossenen Berufsfeld bleiben. Er entschloss sich zu einer zweiten Ausbildung. Und diesmal ging es mit der Ausbildung „Mediengestalter für Digital- und Printmedien (Fachrichtung Design)“ in eine ganz andere Richtung. Dies ist seine Richtung. Der Wahl-Hamburger kann seine persönlichen Eigenschaften heute viel mehr in seine neue Tätigkeit einbringen. Er ist nun kein Autodidakt mehr, aber er hinterfragt noch immer, analysiert Arbeitsabläufe und kann somit erfolgreich zum abteilungsinternen Innovationsprozess beitragen. „Das schöne an meinem Job ist es, Ideen haben zu dürfen, diese weiterzuentwickeln und manchmal Initiator neuer Prozesse zu sein.“ Manchmal geht es nur um Millimeter. Jene Millimeter zwischen einem Didot-Punkt (0,376) und einem Pica-Punkt (0,352), die nur der Fachmann sieht. Trotzdem ist er immer wieder gespannt auf den einen Tag in der Woche, wenn die Zeitschrift am Kiosk erscheint und interessierte Leser an „seiner“ Seite hängenbleiben. Immer wenn er diesen Moment in der Bahn oder an anderen Orten des Beobachtens erlebt, weiß er, dass er den richtigen Weg gegangen ist. „Ich bin wie ein Koch, der seine Suppe so würzt, dass sie den Menschen schmeckt.“ Und er verfeinert sie ständig, denn er ist ein Perfektionist.
Melanie Mergler