Wie ein somalischer Flüchtling in Norddeutschland landete
Einst gab es ein Dorf namens Hoopte, gelegen inmitten einer idyllischen Elblandschaft, verschont von den Wirren des globalen Geschehens. Man kaufte seine Brötchen beim Bäcker, Eier beim Hofladen und ging vor dem Tatort sonntagabends zum Griechen. Einmal im Jahr stülpte man sich eine neue Identität über und ließ beim Faslam die alkoholgeschwängerte Sau raus. Die Zeit verlief ruhig und in geordneten Bahnen.
Doch irgendwann ergriff die Globalisierung dieses beschauliche Örtchen mit seinen gierigen Klauen, schüttelte es einmal kräftig durch und schleuderte es mit Wumms auf den Boden der Tatsachen. Denn niemand bleibt von ihr verschont. Und so fern, abstrakt und surreal die Tagesschau oftmals wirkt, so schnell kann die Realität sie einholen. In Gestalt von Aden Ahmed Shine.
Außen solider deutscher Mittelstand, innen Flüchtlingsunterkunft
Aden bittet mich ins Wohnzimmer. Das Mehrfamilienhaus, in dem er und ein paar andere Flüchtlinge untergebracht sind, sieht von außen ziemlich unauffällig aus. Solider deutscher Mittelstand eben. Könnte man meinen. Doch das Wohnzimmer spricht eine andere Sprache. Ein Tisch, zwei Stühle, ein miefiges Sofa. Nebenher läuft gerade Eurosport auf einer mickrigen Uraltglotze. Gemeinsam mit ein paar anderen Somalis lebt Aden seit einigen Monaten hier. Und kann nicht arbeiten. Das ist den Flüchtlingen gesetzlich untersagt, weil sie keine gültigen Papiere besitzen. “But we really want to work”, kommentiert er dieses Dilemma.
Aden ist 29 Jahre alt, groß, etwas hager, und spricht geschliffenes Englisch. Seine Flucht führte ihn quer durch Afrika und Europa. Er stammt aus dem Norden Somalias. Ein Land, in dem seit Jahrzehnten Bürgerkrieg herrscht, dessen Hauptstadt Mogadischu einer einzigen Ruine gleicht und das von Gewalt durchwirkt ist. Al-Shaabab, eine islamistische Milizentruppe, hat weite Teile des Landes unter Kontrolle und regiert die besetzten Gebiete mit eiserner Hand. Dieben werden öffentlich die Hände abgehackt, Ehebrecher werden gesteinigt und Frauen als fleischgewordene Geburtsautomaten benutzt. Zu allem Überfluss wurde das Land in den letzten Jahren vermehrt von Dürren und Fluten heimgesucht, was massive Missernten und Nahrungsmittelknappheit zur Folge hatte.
Flüchtlinge wie Aden sind in Libyen eine Last – das Land muss sich selbst wieder aufbauen
Aden aber floh aus einem ganz anderen Grund. Die Extremisten zwangen ihn zum Kämpfen. Er jedoch weigerte sich. Das quittiert Al-Shaabab eigentlich mit dem Tod. Glücklicherweise aber entwischte Aden den Fängen der Islamisten und setzte sich Richtung Norden ab. So begann seine Flucht vom südöstlichsten Zipfel Afrikas aus. “It was an dangerous journey”, sagt er, von dem Erlebten scheinbar völlig abgestumpft. Seine Route führte ihn quer durch Afrika, ohne gültige Papiere, als staatenloser Bürger.
Leute wie er sind leicht zu erpressende Opfer. Sie können niemanden anzeigen. Ein gefundenes Fressen: Viele Grenzbeamte verlangten von ihm Schmiergeld, zum Beispiel in Uganda oder dem Nordsudan. Als er schließlich Libyen erreichte, schnappte ihn die Polizei und warf ihn ins Gefängnis. Dort schlugen sie auf ihn ein. Wehrlos wie er war, musste er die Tortur über sich ergehen lassen. Lange aber blieb Aden nicht hinter Gittern, denn Leute wie er sind auch den Libyern eine Last, die ohnehin schon genug Probleme damit haben, ihr Land wieder aufzubauen. Also ließen sie ihn bald laufen.
Für Flüchtlinge rollt in Europa niemand den roten Teppich aus
Schließlich erreichte er die Küste des Mittelmeeres und bestieg dort zusammen mit vielen anderen Flüchtlingen aus Nigeria, Ghana oder dem Irak das Boot, das ihn Richtung Europa bringen sollte. Seine Überfahrt glückte. In Lampedusa schließlich betrat er das erste Mal europäischen Boden. Die Wohlstandshochburg, das erklärte Traumziel von Millionen, war erreicht. Aber für Menschen wie ihn rollt niemand den roten Teppich aus.
Nach einem kurzen Aufenthalt in einem Auffanglager wurde er weiter in das Innere des Landes abtransportiert. Dort hielt er sich nicht lange auf und bestieg einen Bus Richtung Deutschland. Schließlich strandete er im Landkreis Harburg. Laut des europaweit gültigen Schengen-Abkommens wird jedem Land ein prozentualer Anteil asylsuchender Flüchtlinge zugeteilt. Und dann wird nach geeigneten Orten gesucht. Harburg, genauer gesagt Winsen, ist so ein Ort: Rund 50 Flüchtlinge fanden hier so Asyl.
Auf die Frage, ob er denn hier nun glücklich sei, antwortet Aden: “Yes. I am free here and allowed to say whatever I want, without the danger of getting killed for that”. Das kann man durchaus ernst nehmen. Denn als ich ihn frage, ob er irgendwann einmal plane, zurückzukehren, entgegnet er mir kopfschüttelnd mit dem Satz: “It‘s very difficult to return. They know me, and if I come back, they will kill me”.
Autor: Luca Dittmer