Nachhaltigkeit wird in Lüneburg nicht nur groß, sondern gefühlt in Großbuchstaben und mit drei Ausrufezeichen geschrieben. Aber wie sehr hat die grüne Impfung unseren Alltag verändert? Leben wir jetzt endlich „gut“? Ein Selbstversuch.
Okay, Moralkeulen gibt es in dieser Kolumne viele. Um nicht zu ethisch-korrekt zu werden, geht es heute nur um Hähnchenkeulen. Die gehören bestimmt zum guten Leben, essen sie die Deutschen doch wie die Weltmeister: 945 Hühner hat jeder und jede im Durchschnitt bis zu seinem Tod auf dem Teller – Tendenz steigend.
Gleichzeitig verzichten immer mehr Menschen auf Fleisch. Laut dem Vegetarierbund Deutschland isst bereits rund zehn Prozent der Bevölkerung keine Tiere und 1,1 Prozent lebt vegan.
Rein pflanzlich ernährt sich auch meine Freundin Nora, weil sie „Masthähnchenzucht schrecklich“ findet. Nora hat sich darüber informiert, wie Hühner konventionell gehalten werden.
Folgendes fand sie heraus:
Seit dem Zweiten Weltkrieg werden in der industriellen Landwirtschaft so genannte Hybridhühner gezüchtet. Diese besitzen spezielle Eigenschaften: Manche von ihnen legen jährlich bis zu 320 Eier, andere sind nach einem Monat schlachtreif, je nach Ziel der Züchter. Nora ergänzt, dass viele Hühner nur leben, um besonders schnell fett zu werden. Deshalb haben sie so gut wie keine Bewegungsfreiheit. Gefüttert werden sie unter anderem mit Soja aus Ländern wie Brasilien, für dessen Anbau der Regenwald gerodet wird. Heutzutage seien Nutztiere eher Waren als Wesen, glaubt Nora. Mit dem guten Leben habe ein maßloser Fleischkonsum nichts zu tun.
Anders sieht das unser gemeinsamer Freund Leif. Für ihn gehört Hühnerfleisch zur Lebensqualität, aber bloß solches „aus biologischer und regionaler Haltung.“ Leif will sicher sein, dass die Tiere ein gutes Leben hatten. Nora ist skeptisch. Bio sei manchmal nur ein Mittel, um das Gewissen der Käufer zu beruhigen. Grundsätzlich, wenn auch nicht immer, gilt: Auf Bio-Höfen leben Hühner in kleineren Gruppen, wodurch sie mehr Bewegungsfreiheit haben. Außerdem stehen ihnen vier Quadratmeter Freifläche zu, sie dürfen also nach draußen. Im Gegensatz zu ihren konventionell aufwachsenden Artgenossen bekommen Bio-Hühner nur einmal in ihrem Leben Antibiotika. Artgerecht gehalten werden diese Tiere trotzdem nicht, sagt Nora. Auch für Bio-Bauern müsse sich die Zucht rentieren. „Aber was sollen wir denn tun?“, will Leif wissen. Gute Frage.
Zu Hause stelle ich fest, wie wenig ich über Hühner weiß. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass Hennen normalerweise im Winter keine Eier legen? Wollten Züchter dieses natürliche Verhalten berücksichtigen, müsste der Preis pro Ei schon 80 statt 20 Cent betragen.
Wären wir bereit, das zu zahlen? Mist, jetzt wird es doch wieder moralisch!
Autor:in: anonym