Im Tierheim Lüneburg dreht sich alles ums Wohl der Tiere und ihrer Vermittlung in ein liebevolles Zuhause. Die Tierpflege ist herzzerreißend – denn Glück und Unglück gehen Hand in Hand. Während einige Tiere ausziehen, kämpfen andere um ihr Leben. Eine Ode an die Arbeit der Tierpfleger:innen.
Ein penetranter Geruch erfüllt die Luft, als Tierpflegerin Sophia Otto das Katzenhaus des Tierheim Lüneburgs betritt. Otto nimmt das kaum wahr. Sie weiß: schon bald sind die Katzenzimmer sauber und der Muff verflogen. Es ist kurz nach halb acht am Donnerstag. „Guten Morgen“, sagt sie und begrüßt die vielen Katzen, die in kleinen Zimmern in Gruppen auf ein neues Zuhause warten. Wie auf Kommando beginnt das Mauzkonzert der morgendlichen Begrüßung – eher: des Rufs nach Futter.
Das Lüneburger Tierheim-Team besteht aus der Tierheimleitung, Tierpfleger:innen sowie Auszubildenden und ein paar Aushilfskräften. Unterstützt werden sie von zahlreichen ehrenamtlichen Helfer:innen. Jeden Morgen werden die Gehege geputzt, Katzentoiletten gesäubert und hungrige Mäuler gefüttert, die dann endlich Ruhe geben.
Die meisten Schützlinge des Tierheims gehören Heimtierarten an. Es bietet Platz für bis zu 38 Hunde und 90 Katzen. Zurzeit wohnen hier viele ehemals freilebende Katzen, ausgelastet ist das Katzenhaus zurzeit nicht. In den Wintermonaten, in denen weniger Menschen draußen unterwegs seien, würden weniger Katzen gefunden und ins Tierheim gebracht, erläutert Tierpflegerin Otto. Genug zu tun, gebe es dennoch. Zusätzlich können im Kleintierhaus bis zu 35 Kleintiere unterkommen.
Kampfgeist pur – von Hoffnung keine Spur
Donnerstag ist einer von zwei Tierarzt-Tagen pro Woche. Eine der Patientinnen von Tierheimtierärztin Maren Domanske ist Mieze Pat. In ihrem Zimmer fällt sie auf: Unter den vier Jungkatzen ist sie die kleinste und zierlichste. Sie wirkt, als sei sie mehrere Monate jünger als der Rest der Bande. Doch Otto klärt auf: „Pats Bruder Pit ist fast doppelt so groß wie sie.“ Ihr Körper hat nicht genügend Kraft für die richtige Entwicklung.
Die Stimmung ist angespannt, als die Tierärztin nur wenig später die Jungkatze betrachtet. Deren aktuelle Magen-Darm-Erkrankung folgt auf einen harten Schnupfen. Geschwisterkater Pit teilt dieses für Straßenkitten typische Schicksal mit seiner Schwester, scheint dafür jedoch besser gewappnet gewesen zu sein. Die vielen Krankheiten haben Pat zermürbt – das ist sogar fürs ungeschulte Auge sichtbar: Das nachtschwarze Fell ist struppig. Sie ist mager, wirkt zerbrechlich und hat Flüssigkeitsmangel und Durchfall. Sie schwebt akut in Lebensgefahr. Trotz ihres schlechten Zustands ist sie zu agil, um gründlich untersucht zu werden. Dieser Kampfgeist ist das Einzige, was Hoffnung macht.
Zur Behandlung muss sie leicht sediert werden. Pat bekommt Flüssigkeit über den Tropf. Die Blutabnahme geht nur schleppend voran. Ein Tropfen pro Bein. Dann muss Tierärztin Domankse beim ersten Bein wieder von vorne beginnen. Sie vermutet Blutarmut. Am Ende der Behandlung ist ungewiss, ob das Blut ausreicht, um es im Labor auf bestimmte Krankheiten zu testen. Pat soll nochmal in Quarantäne – mehr Ruhe und weniger Katzenkontakt zur Ansteckung. Ihr Bruder Pit soll ihr gegen die Einsamkeit Gesellschaft leisten. Von Blut- und Kotprobe erhoffen Otto und Domanske sich mehr Informationen darüber, wie sie der kleinen Katze helfen können. Ihr Leben hängt am seidenen Faden und das, obwohl sie bereits in Behandlung ist. Die Ungewissheit über Pats Zukunft – die Frage nach Leben oder Tod – wabert wie ein dunkler Schatten durch das Zimmer.
„Das ist am Frustrierendsten“, offenbart Tierpflegerin Sophia Otto mit gesenktem Blick. Viele Katzen, die wegen Katzenüberpopulation ohne Kontakt zu Menschen auf der Straße geboren werden und dort aufwachsen, hätten von klein auf Schnupfen. Das schwäche die Kitten sehr. Pat sei das beste Beispiel dafür. „Wir geben hier alles, versuchen, ihr das Beste zu geben und schaffen es dann trotzdem nicht.“ Das passiere immer wieder – dass die Tiere schon so geschädigt ins Tierheim kämen, dass es kaum möglich sei, ihnen zu helfen. Trotzdem gibt das Tierheim-Team immer alles, um ihren Schützlingen zu helfen und deren Leben zu retten. Manchmal ist es jedoch schon für jede Hilfe zu spät. „Und das frustriert halt. Wenn du helfen willst, alles möglich machst, aber es nichts bringt.“
Kuscheln fürs Herz und die kleinen Katzenseelen
Eine Entlastung für die Tiere und Pfleger:innen sind die Katzenkuschler:innen – Freiwillige, die vorbeikommen und mit den Katzen und Katern ihrer Wahl spielen und kuscheln. Jeden Tag können Ehrenamtliche ins Tierheim kommen und nach einer kleinen Einführung das Highlight des Tages für die Katzen sein. Auch mit den Tierheimhunden kann man Zeit verbringen: Bei ausgiebigen Spaziergängen außerhalb des Tierheimgeländes – welche man nach einer kurzen Schulung unternehmen darf. Das ist nicht nur schön für Katze, Hund und Mensch, sondern hilft den Tieren auch, neue Erfahrungen zu sammeln und Menschen zu vertrauen.
Ein junges Pärchen wartet auf die Expertise von Tierpflegerin Otto. Die kleinen quietschgrünen Steckbriefe an den Scheiben der Katzenzimmer haben den Freiwilligen bereits Namen, Alter, Geschlecht und verschiedenste andere Eigenschaften der Miezen verraten. Sie würden gerne mit Katze Mausi schmusen. Ohne einen Blick auf den Steckbrief werfen zu müssen, weiß Otto, dass Mausi nicht die richtige Kuschelpartnerin ist. Sie empfiehlt dem Paar ein anderes Zimmer fürs Kuscheln. Denn die an der Glastür um Aufmerksamkeit buhlenden schwarz-weißen Maunzer dort sind echte Schmusetiger. Es ist beeindruckend, was Otto über jedes dieser Tiere weiß, und zeigt, mit welcher Hingabe sie ihrem Job nachgeht. „Die Zusammenarbeit mit Tieren gibt mir Kraft“, sagt sie.
Neue Chance für schussverletzte Samtpfote
Jährlich werden weit mehr als 1.000 Tiere aufgenommen. Das Ziel des Tierheims ist es immer, das beste Zuhause für die Tiere zu finden, sie darauf vorzubereiten und auch mit ihnen an Problemen zu arbeiten. „Man freut sich immer, wenn ein Tier auszieht. Egal wie kurz es auch nur da war, es überwiegt immer die Freude“, sagt Otto mit einem Lächeln auf dem Gesicht.
Nachmittags wird Katze Mausi ausziehen. Der schüchternen Dame ist der Trubel im Tierheim zu viel. „Das Schönste für mich ist, wenn scheue oder verängstigte Tiere auftauen“, sagt Otto. Mausi braucht dafür eine ruhigere Umgebung. In ihrem neuen Zuhause soll sie die Chance kriegen, in Ruhe anzukommen. Der dunkle Schatten von Pats Untersuchung scheint in Anbetracht der neuen Hoffnung für Mausi wie davongepustet.
Tierpflegerin Otto bereitet Mausis Unterlagen für den Auszug vor. Mit dabei: eine kleine Plastiktüte mit einem erbsengroßen Metallstück darin und ungewöhnliche Röntgenbilder. Beim Einzug hatten die Pfleger:innen Zahnprobleme vermutet, denn Mausi zeigte alle Anzeichen dafür: Sie fraß schlecht bis gar nicht, es lief Eiter aus dem einen Nasenloch. Die Vermutung bestätigte sich aber nicht, wie die Tierpflegerin erzählt: „Zur weiteren Diagnostik haben wir sie in die Klinik gebracht.“ Was die Röntgenbilder dort enthüllten, geht durch Mark und Bein: „Mausi hatte ein Geschoss im Kopf“, sagt Otto, „Da sind wir natürlich aus allen Wolken gefallen“. Wie das Diabolo-Geschoss – welches sonst beispielsweise in Luftgewehren zu finden ist – in Mausis Nasenhöhle eindringen konnte, weiß niemand. Mausi hat keine Narbe im Gesicht. Wie die getigerte Samtpfote das überlebt hat? Auch das ist ein Rätsel.
Mit der Hilfe von Spenden konnte eine komplizierte Operation bezahlt werden. Der Fremdkörper wurde entfernt und heute merkt man der Katzendame nichts mehr an. Nun beginnt ein neues Leben für die Katze mit der weißen Schnute. Ein Leben weit weg von Geschossen und ganz nah an Liebe und Vertrauen. Sie ist einen weiten Weg gegangen, um das zu erreichen. Einen Weg, den Klein-Pat noch vor sich hat.
Zwei Seiten der Medaille
Glück und Unglück liegen hier nah beieinander. In einer Sekunde überwiegen Glück und Freude über Trainingserfolge oder das neu gewonnene Vertrauen eines Schützlings. Das Herz schlägt höher und Sorgen verfliegen. Im nächsten Moment belastet Kummer das Herz. Hoffnung und Elend scheinen im Tierheim-Alltag nicht ohneeinander auszukommen.
„Für das Wohl der Tiere opfert man sich auf“, sagt Sophia Otto und fasst den Knochenjob der Tierheimtierpflege perfekt zusammen. Ein Job, der nahe geht und mitten ins Herz trifft. Ein Job, der nicht nur emotional anstrengend, sondern auch körperlich kräftezehrend ist. Von beeindruckenden Menschen erledigt, die das Leben für diese Tiere erst lebenswert machen und für diese Leben kämpfen.
Pat rang um ihr Leben. Gemeinsam mit Bruder Pit saß sie in Quarantäne. Ob sie das überleben würde, war ungewiss. Doch sie zeigte Lebenswillen. Die Blutmenge reichte aus, um diese im Labor zu untersuchen. Pats Entzündungswerte sind sehr hoch, weshalb das Tierheim-Team vermutet, dass die Jungkatze eine Futtermittel-Intoleranz hat. Pat bekommt nun ein anderes Futter sowie ein Präparat zur Unterstützung des Darms „und das scheint ihr sehr gut zu tun“, sagt Tierpflegerin Otto. Pat hätte zugenommen und sei deutlich fitter. Sie ist auf dem Weg der Besserung und die Tierpfleger:innen hoffen das Beste: Ihr bald ein neues Zuhause vermitteln zu können.
Helfen, Kuscheln, Spenden
Das Tierheim Lüneburg kann man auf viele Arten unterstützen. Kuscheln und Gassigehen sind nur zwei davon. Ehrenamtliche Hilfe wird immer gebraucht. Wer sich vorstellen kann, tatkräftig zu unterstützen, bespricht am besten mit dem Tierheim direkt, welche Hilfe gerade wann und wo gebraucht wird.
Auch durch Geld- oder Sachspenden kann man das Tierheim unterstützen. Eine Liste findet sich unter tierschutzverein-lueneburg.de. Geldspenden, die direkt für das Tierheim und die Versorgung der Tiere bestimmt sind, können auf das folgende Konto überwiesen werden:
Tierheim Lüneburg, IBAN: DE87 2405 0110 0065 0616 73, BIC: NOLADE21LBG
Foto: Eine schwarze und eine getigerte Katze sitzen und schauen in die Kamera. – Die Geschwister Pit und Pat (v.r.) – Tierheim Lüneburg