Geronnene Fakten

Die Pressedokumentation bei Gruner+Jahr

Man wird immer fauler. Der Instant-Kaffee neben dem Laptop legt uns nahe, dass man eigentlich auch Instant-Infos im Internet finden müsse. Dass man das dann auch tut, bestätigt den eh schon starken Glauben an die Nutzlosigkeit intensiver Suche. Erste und wichtigste Quelle für Referate und Ausarbeitungen ist nun mal das WWW. Bei Wikipedia wehrt sich der persönliche Anstand zwar noch ein bisschen, ein Rest natürlichen Schamgefühls zuckt noch auf beim Zugeben-Müssen, man habe etwas aus der „Freien Enzyklopädie“, doch auch das geht bald vorbei.

 Dieser Trend zeichnet sich überall ab. Umso schwieriger haben es Inseln des beflissenen Nach-Guckens und Bescheid-Wissens. Eine solche sind Presse-Dokumentationen.

Vereinfachend gesprochen ist eine Dokumentation ein funktionales Archiv. Was hier stattfindet, ist nicht klassische (im Übrigen unterschätzte) Archivarbeit, sondern ein Umschlagen, Trocknen, Weiterverarbeiten von Information.

Die Dokumentation des Verlages Gruner+Jahr ist eine der größten ihrer Art. Sie lässt sich grob in zwei Teile gliedern: Das Lektorat, also den Teil, der Informationen in den Informationspool einspeist und die Recherche, wo diese Informationen abgefragt werden. Dabei gilt: Wir suchen alles.

Die Recherche ist eine Dienstleistungseinrichtung für Redaktionen. Recherche-Anfragen sind zum Beispiel: Welche großen Partys finden diesen Sommer auf Mallorca statt? Oder: Jetzt war doch dieser Fall von Amstetten – wann wurden denn in der Vergangenheit schon Frauen in Kerkern eingesperrt? In der Vogue gibt es immer eine Seite, auf der sich Promis zu einem bestimmten Thema äußern. Auch die Zitate hierzu liefert die Dokumentation. Was die Recherche leistet, ist kurzfristig, umfassend und aktuell nützliche Information an verlagsinterne sowie externe Redaktionen zu liefern, darunter auch TV-Redaktionen.

Die New York Times war 1968 der erste Verlag der Welt, der eigene Artikel elektronisch speicherte. In dieser Hinsicht war Gruner+Jahr zwar der zweite, dafür aber der erste Verlag, der nicht nur eigene, sondern auch Artikel anderer Verlage speicherte. Die Dokumentation arbeitet hauptsächlich, aber bei weitem nicht ausschließlich, für die Zeit und den Stern. Sie entstand 1968 aus den Archiven des Stern, der Zeit und der Brigitte. Bis in die Siebziger hinein war der Stern einfach ein bebildertes Blatt: Leicht, prominent, unterhaltend. Irgendwann ging das aber nicht mehr und man musste sich umorientieren. Der damalige Chefredakteur Henri Nannen entschloss sich, politische Berichterstattung zu machen – dafür brauchte man ein Archiv.

In der Pressedatenbank von Gruner+Jahr befinden sich 7,5 Millionen Artikel. Jeden Monat werden 240 Zeitschriften und Zeitungen ausgewertet und jeden Tag werden 1.200 neue Artikel in die Datenbank eingespeist. Gleichzeitig werden pro Tag etwa 40 Recherchen angefragt. Die Dokumentation hat 32 Mitarbeiter, wovon mehr als drei Viertel eine akademische Ausbildung haben. Damit ist sie eine der Abteilungen mit der höchsten Akademikerquote.

Gruner+Jahr ist der größte Zeitschriften-Verlag Europas. Er entstand, als sich 1965 die Verleger John Jahr sr. und Gerd Bucerius mit Richard Gruner, einem Druckereibesitzer, zusammentaten. Sie taten dies, um nicht von Axel Springer geschluckt zu werden. Schließlich ist der deutsche Pressemarkt der dichteste der Welt. Der Verlag hat sich im Laufe der Zeit auf qualitativ hochwertige Produkte spezialisiert, darunter Gala, die ganze Stern-Familie, Capital, Brigitte, die Sächsische Zeitung etc.

Was wirklich Spaß macht an der Arbeit in der Dokumentation ist die irre Menge an Informationen, die durch einen hindurchfließt: Durch die vielen Zeitungen und Zeitschriften, die man verschlagwortend liest und auch durch allerlei Rechercheanfragen, die einen dazu bringen sich mit Dingen zu beschäftigen, von denen man sonst nichts gewusst hätte. Befriedigend ist es auch später, im fertigen Heft die Früchte seiner Arbeit zu lesen. Spannend ist es, durch das Papierarchiv zu gehen und hier und da zu schmökern. Der Stern zum Beispiel (den es länger gibt als die Bundesrepublik) hat vom Layout und der Themenauswahl einen langen Weg hinter sich.

Neben Recherche und Lektorat übernimmt die Dokumentation auch die Verifizierung von Artikeln. Das heißt, bevor ein Artikel gedruckt wird, prüft ein Dokumentar, ob die darin enthaltenen Fakten stimmen. Das beinhaltet auch, dass man angegebene Telefonnummern (zum Beispiel bei Hotelrezensionen) anruft, um zu erfahren, ob sie richtig sind.

Lobend sei erwähnt, dass Praktikanten dort als den Festangestellten prinzipiell gleichgestellt betrachtet und – immer noch eine Seltenheit auf dem prekären Planeten – nicht ausgebeutet werden. So findet das liebevolle Kümmern um den Praktikanten etwa in der Bereitstellung eines kostenfreien Mahls in der Kantine seinen Ausdruck.

Martin Gierczak

 

Die Zahlen sind hauptsächlich aus:

Peters, Günter: Die Gruner+Jahr Pressedokumentation. (Kein Verlag)