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Wie eine Wahlfamilie – Wie solidarische Bezugsgruppen ihr Geld teilen und was das mit politischer Arbeit zu tun hat

“Bei Geld hört die Freundschaft auf“ – Die bekannte Floskel macht deutlich, wie es um den gesellschaftlichen Umgang mit Geld steht. Jede*r ist allein für das eigene Geld verantwortlich und darüber zu reden, schickt sich nicht. Geld ist ein Tabuthema. Und wer so wirkt, als hätte er*sie nur wenig Geld, kann schnell aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden.

Vor knapp einem Jahr bekam Mira einen Anruf von einer Freundin. Sie redeten über genau diese Vereinsamung, die sie im Umgang mit Geld aber auch an vielen anderen Stellen in ihrem Umfeld wahrnehmen. Noch dazu bemerkten sie beide die stark ungleiche Verteilung von Geld. Aus dieser Frustration heraus beschlossen sie, ein Experiment zu wagen: Sie wollen miteinander ihr Geld teilen.

“Es ging uns in erster Linie darum, etwas gegen Vereinzelung und ungleiche Ressourcenverteilung zu tun. Außerdem war uns von Beginn an wichtig, uns mit unserem Bezug zu Geld und zu Eigentum auf einer gedanklichen Ebene auseinander zu setzen“, erzählt Mira. Der Start war ein langer Prozess, gefüllt mit Recherchen und Reflexionen.

“Am Anfang haben wir viel über unsere Sozialisierung mit Geld geredet und uns gefragt: Wie wurde mit Geld in meiner Kindheit umgegangen? Wie gehe ich jetzt mit Geld um? Was sind unsere Unsicherheiten? Mit wie viel Geld fühlen wir uns sicher? Es hat schon eine Weile gebraucht, sich an den Gedanken, Geld zu teilen, zu gewöhnen. Dabei hat es sehr geholfen, dass wir schon lange befreundet sind und uns vertrauen. Außerdem haben wir uns erstmal nur damit beschäftigt, unser Einkommen zu teilen und nicht das Vermögen“.

Herauszufinden, wie genau die beiden ihr Geld teilen können, war zu Beginn nicht leicht. Bisher gibt es kaum Gruppenkonten bei Banken. Nach vielem herumsuchen haben sie sich erstmal entschieden, ihr Geld ideell über eine Buchhaltungsstruktur zu teilen. Im zwei-wöchigen Rhythmus tragen Mira und ihre Freundin ihre aktuellen Kontostände ein und rechnen sie zusammen.

“In unserem alltäglichen Umgang mit Geld vertrauen wir uns und sprechen uns eine große Autonomie zu. Das Geld kann bis zu einem gewissen Betrag frei ausgegeben werden. Wenn eine größere Ausgabe, wie beispielsweise eine teurere Fahrradreparatur ansteht, oder sich einige Ausgaben summieren, wie etwa durch gehäufte Bahnfahrten, reden wir vorher darüber und schauen gemeinsam, ob unser Geld das gerade her gibt und von welchem Konto es am besten abgehoben werden kann. Wir haben das Privileg, bisher immer in einer guten, finanziellen Lage gewesen zu sein, sodass wir manchmal auch schon Geld an andere politische Projekte geben konnten”.

Wenn das Geld mal knapp wird, schauen Mira und ihre Freundin gemeinsam, wie sie damit umgehen wollen. Die Gemök (Gemeinsame Ökonomie) ermöglicht so auch, dass unterschiedliche Arten von Arbeit wertgeschätzt werden. Die Lohnarbeit der Einen kann die Care-Arbeit oder auch die politische Arbeit der Anderen ermöglichen. Das Solidarnetz – ein Netzwerk aus Menschen, die sich mit gemeinsamen Ökonomien und langfristigen, solidarischen Bezugsgruppen beschäftigen – sieht in solchen Gruppen auch die Möglichkeit, dass Menschen langfristig politisch aktiv sein können, um Lohn- und Sorgearbeit muss sich so nicht allein gekümmert werden.

Gerade überlegt die kleine Gemök, sich mit drei weiteren Menschen zu erweitern. Alle wohnen an verschiedenen Orten, was die Gruppe sehr positiv sieht:“So verschwinden wir nicht in unserer Gemök-Blase. Das Vertrauen in die Menschen ist trotzdem da“. Die Gruppe tauscht sich regelmäßig in Telefonaten und Treffen aus. Geteilt wird dabei nicht nur Geld, sondern auch Emotionen, Gedanken, Lebensentscheidungen, materielle Dinge und Kontakte. „Im Gemök-Prozess kam mir immer häufiger die Frage auf, was ich wirklich für mich allein brauche und was stattdessen auch uns gemeinsam gehören kann“, sagt Mira. Auf die Frage, wie sich ihr Leben mit der Gemök verändert hat, antwortet Mira:

“Ich fühle mich nun deutlich aufgehobener und sicherer. Ich weiß, auf wen ich im Notfall vertrauen kann und dass ich mit Problemen nie allein sein muss. Es braucht zwar auch viel Zeit und Energie, aber die Erfahrungen, die ich dabei sammle, möchte ich auf keinen Fall missen. Wir wollen unser Wohlbefinden nicht mehr als Einzelaufgabe sehen, sondern unsere Bedürfnisse mitteilen und gemeinsam schauen, wie wir für einander und für die Gruppe sorgen können. Das ist schon ein kleiner Teil meiner Utopie”.

Titelbild: (c) Unsplash – Christian Dubovan