Neunzig Grad oder Der Feind in unserem Revier. Der Winter hält Lüneburg im Griff wie von eisiger Hand. Durch knietiefen Schnee stapfen Kommilitoninnen über den Campus. Kein Weg ist zu weit. Nur ein Zwinkern, ein Wink, leise Vorfreude bewegt uns: Wir werden uns treffen. Einmal in der Woche sind wir unter uns. Es scheint ein bisschen wie damals in der achten Klasse. Was wir auf dem Schulklo besprachen, fiel unter absoluten Datenschutz. Heute gehen wir in die Damensauna.
Der Saunagarten ist seit Wochen nicht mehr zugänglich. Wände aus Eis stemmen sich gegen die Glaswand des Ruheraums. Wenn wir von einem Bad in heißer Luft auskühlen, vergessen wir, wie wir uns draußen die Kapuze ins Gesicht gezogen haben. Wir wandern durch die Dusche. Der Schall unserer Schritte kehrt zurück. Eine Mitstudentin zieht an der Tür zum inneren Raum. Wir betreten unser Reich. Jetzt trennen uns nur noch wenige Schritte von der heißen Kabine.
Die Blonde, die vorangegangen ist, stellt sich erwartungsfroh vor die ersehnte Holztür. Sie wirft uns einen verschmitzten Blick zu. Neunzig Grad voll von zotigen Worten über den Kerl aus Statistik und wüsten Sprüchen über unsere Göttergatten locken. Wir werden es mit zischenden Aufgüssen von tropischen Aromen untermahlen.
Sie linst in das glühende Halbdunkel hinein. Plötzlich weicht sie erschrocken zurück. Auf einem gemütlichen Lattenrost schwitzt ein Mann. Er ist ein gut gebautes Exemplar. Fein säuberlich hat er sich in ein weißes Saunatuch gewickelt. Er mustert uns nichtsahnend. Die Kommilitonin runzelt die Stirn. „Was macht denn der da drin? Steht der Männerzugang offen?“ Sie watet über die warmen Fliesen und testet den Eingang in das andere Terrain. Erschrocken und konsterniert zieht sie die Tür wieder ins Schloss. Eine kleine Frau in unserer Mitte weiß es ganz genau. Sie schüttelt wütend den Kopf. „Einige nutzen doch wirklich jede Gelegenheit aus!“ Eine Mittzwanzigerin stapelt auf ihrem Arm noch immer alle ihre Utensilien. Verärgert hebt sie die Schultern. „Das ist mir doch egal, ob der Typ Stress sucht! Das ist unser Tag! Ich will, dass der auf der Stelle verschwindet.“
Der fehlplatzierte Besucher gibt sich unbeeindruckt. Er sauniert. Unser Team entschließt sich dazu, das Problem zu lösen. Am Tresen wird Verstärkung geholt. Wir erheben Anspruch auf unsere Räumlichkeiten. Wir holen den Mann jetzt da raus! Angriffslustig versammeln wir uns an der Holztür. Die Mitarbeiterin begleitet uns schwungvoll. „Sitzt das männliche Subjekt noch da drin?“ Wir nicken. Dann reißt sie entschieden die Saunatür auf. „Würdest du bitte diesen Heißluftraum verlassen? Heute ist Mädelstag. Klar?“
ER hebt irritiert seine dunklen Augen unter schwitzenden Wimpern. „Sorry?“ Wir sehen uns amüsiert an. Der Mann versteht kein Deutsch. Für ihn findet heute keine Frauensauna statt! Niemand hat versucht, mit ihm zu rechnen. Alles im Leben, was zählt, verlässt die Diskurse der Sprache.
Die Mitarbeiterin stemmt ihre Arme in den Türrahmen. „Today only for girls. Okay?“ Verlegen erhebt sich der Typ. Er blickt sich in der Runde um, als hätte er den Kurs verfehlt. Die kleine Frau, der eben noch Böses schwante, sieht nicht weniger beschämt aus als er. Langsam rafft er sein Saunatuch um seinen olivfarbenen Körper und wendet sich, um zu gehen. Er dampft zufrieden nach einer langen Sitzung im Raum der Frauen. Die Hitze flirrt, bevor wir eintreten.
„I`m sorry learning your language needs so much time“, murmelt der Fremde. Unsere Welten trennen sich schon wieder. Dann müssen auch wir nicht mehr frieren.
Von Heike Hoja
(Studio 21-Liebhaberin)