Von Social Entrepreneurs und anderen Exoten. Es ist heiß. Die Luft flimmert und ich weiß kaum noch wohin. Aus der Ecke des Kühlregals weht mir ein kalter Hauch entgegen. Leicht fröstelnd, aber erleichtert nähere ich mich den eisgekühlten Getränken. Hm – Wasser, Saft, Cola, Energy-Drink. Wie soll ich mich da entscheiden? Limonade, Limonade… wo ist sie denn? Lemon-aid. Da! Oder doch nicht? Stirnrunzelnd frage ich mich, ob die schon immer so aussah. Bio und Fair-Trade. Komisch. Schließlich überwiegt meine Neugier und ich kaufe diese neue Bio-Limo.
Später erfahre ich, dass mein neues Getränk ganz aus der Nähe kommt. Zwei Social Entrepreneurs aus Hamburg hatten die Idee, individuellen Limonadengenuss mit kollektivem Guten zu verbinden. Nach dem Motto „ein kleiner Schluck für Dich, ein großer Schluck aus der Pulle der sozialen Gerechtigkeit für die dritte Welt.“
Hinter Namen wie Lemonaid oder Charitea steckt sogar noch „gute Werbung,“ sagen die Wirtschaftspsychologen, „wenigstens was Anständiges“ meinen die Umweltwissenschaftler.
Doch was ist eigentlich ein Social Entrepreneur? Dafür gibt es zahlreiche Definitionen, aber eigentlich ist er vor allem eins: mutig. Ein Social Entrepreneur ist ein ungewöhnlicher Problemlöser, der sich für etwas Neues einsetzt, in Marktlücken schlüpft. Meist wird ein Unternehmen oder eine Organisation aufgebaut, die zumindest überlebensfähig ist oder sogar gut wirtschaften kann. Das Gewinnstreben steht bei einem Social Entrepreneur jedoch nicht an erster Stelle. Er oder sie setzt die eigenen innovativen Ideen vielmehr für soziale, ethische und ökologische Ziele ein. Eigentlich eine gute Sache. Aber geht das? Ja, sagen die Social Entrepreneurs. Und sie machen es vor. Ob selbsttragende Computerschulen für Armenviertel in Brasilien oder Projekte wie „Dialog im Dunkeln,“ das 1988 in Hamburg startete.
„Dialog im Dunkeln“ ist ein Projekt, in der Sehende die Welt der Blinden kennen lernen. Leiter Andreas Heinecke will damit Toleranz für so genannte Randgruppen fördern – und Jobs schaffen. 6.000 „anders begabten“ Menschen konnten durch das Projekt feste Arbeitsstellen vermittelt werden. Die Ausstellung hat mittlerweile in 30 Ländern sechs Millionen Besucher angezogen. Unterstützt wird Heinecke u.A. von Ashoka, einer Organisation, die noch viele weitere Social Entrepeneurs fördert. An neuen Ideen mangelt es nicht.
Abends sitze ich mit Freunden im Kurpark und erzähle von den beiden Limonaden-Hamburgern. Alle sind beeindruckt. Charitea und Astra klunkern aneinander: Ein Prost auf die Zukunft! Ja, aber lohnt sich das denn? Die Zukunft. Wo geht die denn hin? Es scheint, als ob heute, Krise hin oder her, führende Köpfe der Wirtschaft von der Idee eines unbegrenzten Wachstums beseelt sind. Irgendwo geht es immer weiter bergauf. In Zeiten von hilflosen Opel-Rettungen und Sommerlöchern mit Wahlkampf-Dienstwagen-Affären fragt man sich aber: Merken die noch was? Es gibt immer mehr, die auf der Strecke bleiben! Zwar geht es uns in unseren existenziellen Grundlagen hier nicht so schlecht wie in anderen Ländern, besonders zufrieden sind die doch aber alle nicht da draußen im Berufsleben, oder?
Die Wunden der Wirtschaftskrise waren schnell geleckt. Die Millionengewinne werden wieder eingeheimst, die Anker zur nächsten Legislaturperiode geworfen. Dem Anschein nach ist es das gewesen. Alle waren schreckerstarrt ob der drohenden Katastrophe. Doch es war scheinbar nur ein Zucken, denn nun geht’s weiter wie bisher. Und keiner ändert etwas? Glauben die wirklich, dass dies der einzige Rückschlag war, den das Wirtschaftssystem mitmachen musste?
Ich bleibe doch auch nicht einfach im Moskitoschwarm stehen und lasse mich weiter malträtieren, nur, weil ich die vorherige Stechfliege außer Gefecht gesetzt habe. Einige scheinen jedoch zu glauben, mit dieser Philosophie gut fahren zu können.
Es gibt aber auch Leute, die denken anders. Die merken noch was. Sie wollen etwas ändern an dem heutigen Zustand; und es werden immer mehr. Vom Hochschulprofessor bis zur Hausfrau, von der Top-Managerin zum Angestellten, sie alle spüren, dass es so nicht weitergehen kann. Nicht jeder ist ein Social Entrepreneur, aber viele versuchen bei sich selbst anzufangen. Die Entscheidung für ein paar Cent mehr zur Bio-Milch zu greifen oder das Billig-Shirt für ein fair gehandeltes liegenzulassen, ein Seminar zum Thema „Ethische Mitarbeiterführung“ anzubieten oder eventuell die gesamte Unternehmensstruktur sozialer, menschlicher zu gestalten, all dies findet immer häufiger statt. Das ist der Punkt, an dem Wirtschaftsethik beginnt. Was ist unserer Meinung nach moralisch richtig und was falsch? Auf welchen Werten sollte unser Wirtschaften begründet sein und wie kann ein Unternehmen verantwortungsvoll handeln? Wie kann ich selber nachhaltig agieren? Dies sind die Gedanken, die uns auf einen neuen Weg bringen und uns langfristigen Erfolg sichern können.
Mit Menschen wie den Social Entrepreneurs ist sicherlich ein Anfang gemacht. Und es kommen täglich neue Ideen hinzu, die uns dann doch noch froh auf die Zukunft anstoßen lassen.
Elfi Lindenau (Die Autorin ist Mitglied der Initiative „Sneep“ an der Leuphana)