Zucker und Säure, Delikates und Unverdauliches beim Slam-Finale von kulturrausch
– inklusive Interview mit der Gewinnerin –
Was als WoZi-Slam gestartet ist, hat sein eigenes Format (das AStA-Wohnzimmer) längst gesprengt. Die gemütliche Atmosphäre und einladende Nahbarkeit aber sind geblieben; drei Hörsaal-Slams im vergangenen Jahr waren ein großer Erfolg. Am vergangenen Freitag wurde das Finale der besten Poet:innen im krachend vollen Klippo ausgetragen. Mit Gästen aus der Szene schafft kulturrausch Verbindungen in die Stadt und, vielleicht, den Beginn einer Kleinkunstbühne am Campus. Vor allem aber wurde es, bei allem Klamauk, ein emotionaler und wegweisender Abend. Mit Aussprechbarkeit und Wortwitz trotzen die die Poet:innen den leidigen Erfahrungen mit sich selbst und der Gesellschaft und kämpften um Perspektiven, die das Leben wertvoll oder besser noch: lustig machen.
Kultur, die satt macht
Die Regeln beim Slam sind schnell erklärt: nicht länger als sechs Minuten, keine Requisiten und natürlich nix Menschenverachtendes. Ansonsten ist alles möglich – und das ist zugleich die wichtigste Regel für das Publikum: respect the poet. Was sich noch sagen ließe zum Slam, das wird an diesem Abend selbst geslammt. Luca, Initiator und Moderator des WoZi-Slams, stimmt das Publikum mit einem eigenen Text ein, in dem er das Finale als Festessen vor Augen führt. Ein Festessen, bei dem sogar Selbstkritik – in Aspik – ganz vorzüglich schmecken kann; ein Festessen, das jüngst jedoch immer öfter aus Resten zubereitet wurde, oder nicht mal das, wenn doch auch Netflix geht, Is it cake? zum Beispiel. Im Gespräch erzählt Luca, wie er während der Corona-Zeit zum Schreiben kam, und auf die Idee, eine Bühne zu eröffnen für Leute, die auf ähnliche Weise in den vier Wänden ihrer eignen Gedanken feststecken. Bei der Planung der Veranstaltungen kam zwischenzeitlich die Befürchtung auf, es könnten sich nicht genug Menschen melden, denn für jeden Slam mussten neue Poet:innen gefunden werden. Schließlich gab es dann aber doch immer genügend Bewerbungen, auch weil sich kulturrausch ausdrücklich an Leute ohne Vorerfahrung gerichtet hatte.
Während man in vielen Kultureinrichtungen noch immer auf die Rückkehr des Publikums wartet, sei der Andrang im studentischen Milieu schnell wieder da gewesen, sagt Luca. „Das Besondere bei Kulturrausch ist aber, dass wir versuchen, die Uni und die Stadt zu vernetzten. Dafür ist die Slam-Veranstaltung heute quasi ein Paradebeispiel, weil wir den Vorverkauf und die Werbung auch auf die Stadt ausgeweitet haben.“ Die Kooperation mit dem Klippo war also für beide Seiten eine gewinnbringende Entscheidung, und auch wenn die Sicht- und Sitzmöglichkeiten noch zu wünschen übriglassen, fehlt dem Abend positiverweise jeglicher Hörsaal-Charme.
Ein Treffen mit sich selbst
Vier haben sich 2022 ins Finale geslammt: Lena, Caro, Kathi und Philine (letztere als Zweitplatzierte, weil Otti am Freitag verhindert war). Im Finale gibt es zwei Runden. In Lenas erstem Text, Zeitkapsel, erzählt sie vom Erwachsenwerden, von den Dingen, an denen es sich zeigt, und von all dem, was sie ihrem kleinen Ich gerne sagen würde, vom Rande der Resignation aus betrachtet. Philine nimmt das Publikum mit nach draußen, nachts, allein, als Frau. Sie kämpft, mit allem, was ihr einfällt, gegen die Angst, die sie nicht haben will – aber sie kann nicht dagegen ankommen, weil die jahrelang penetrierten Vorsichtsrufe zu tief sitzen; bis einem Mann dieselbe Vorsicht eingetrichtert wird. Kathis Text Treppenhaus erzählt, mit bestechender Offenheit, von einem Moment, in dem die Liebe zwischen zwei Menschen fällt, und davon, wie nah Höhenflug und Absturz beieinanderliege. Und Caro schließlich, hat sich zu einem Rendezvous mit sich selbst verabredet, bei dem alles auf den Tisch kommt, was gerade mal so gar nicht funktioniert hat, was aber schließlich von den eigenen Gefühlen aufgemischt wird. Erst Mitgefühl, dann Freude, dann Wut, Mut und schließlich Gelassenheit.
Der Applaus brandet, es wird gepfiffen und gejohlt – denn bekanntlich macht der Applaus auch die Abstimmung. Das macht Poetry-Slam zu so einem integrativen Format, dazu kommt natürlich noch die spielerische Interaktion zwischen Moderation und Publikum. Als Preis hat sich kulturrausch ein Notizbuch überlegt, in welchem während der Veranstaltung Einträge aus dem Publikum gesammelt werden. Tatsächlich sind auch einige Leute gekommen, die noch nie bei einem Poetry-Slam waren, und fast alle sind beeindruckt. Mega, inspirierend, emotional. „Grandios“, sagt Anika, „denn ich kann den Abend nur mit einem Adjektiv beschreiben, das nicht steigerbar ist.“
An der Organisation dieses Slams sind ungefähr acht Leute von kulturrausch beteiligt, die sich von Social Media über Technik bis zu Moderation um alles kümmern. Auch ein Awareness-Team ist einsatzbereit, und dass nicht nur wegen der Massenveranstaltung an sich, sondern auch weil die Texte zum Teil so nahe gehen, dass sie traumatische Erfahrungen triggern. Mentale Gesundheit war ein sehr präsentes Thema in dieser Saison, erzählt Luca, das komme vielleicht auch noch aus der Corona-Zeit. Häufig habe er mitbekommen, dass Personen in ihren Texten Ereignisse aus ihrem Leben aufarbeiten oder verarbeiten. Mittels der Texte können sie sich einem Publikum mitteilen, was wiederum helfe, damit umzugehen. „Auf der anderen Seite erlebe ich auch, dass Personen einfach Bock auf Bühne haben und es total schön finden, dass ihre Texte auf positive Reaktionen stoßen, obwohl sie nie dachten, dass das, was sie schreiben, überhaupt jemanden gefallen könnte. Ich finde es super schön, wenn eine Person dann merkt, dass sie bei anderen ankommt, und dann vielleicht sogar weitermachen möchte.“
Wer das Tiefste gedacht, liebt das Lebendigste
Und dann geht es weiter mit Runde zwei, die eröffnet wird von den Spezialgästen Team No-Friends, das sind Lennart und Hannes, zwei Urgesteine der Hamburger Slam-Szene. Die Einladung folgt auch der Idee, die Lüneburger/Hamburger Slam-Szene besser zu vernetzten. Man spielt außerdem mit Plänen, die Deutschen Meisterschaften im Poetry-Slam nach Lüneburg zu holen. Auf der Bühne sind Lennart und Hannes auf jeden Fall ein eingespieltes Team: sie begeistern mit zwei temporeichen Slams, die sich mit stürmischen Lines aus dem Solo ins Duett hochschaukeln, um zu einem liebenswürdig kleinlauten Dialog zusammenzubrechen. Ihr Thema: Unentschiedenheit, und dass sie voll davon betroffen sind, spielen sie schon bei der Textauswahl vor. Den Reiz des Poetry-Slams, zwischen kunstvoller Sprachakrobatik und prosaischen Moment-mal-Momenten zu wechseln, und tief ins Mise-en-abyme von Bühnenrolle und Person blicken zu lassen, beherrschen sie perfekt.
Die Wettbewerbstexte des zweiten Teils schürfen noch einmal tiefer. Caro macht diesmal den Anfang mit Kein glückliches Leben. Sie erzählt darin von einer Begegnung mit dem Leben auf der Straße, wie sie sich „ehrlich tief bewegt“ zur Veränderung entschließt, und gleichzeitig „einfach nur sein“ lernt. Bei Kathis zweitem Text ist schon der Titel ein Lacher: Zwischen Autor:innenschaft und Würmertum redet sie sich Selbstliebe aus und wieder ein, und als sie auf ein „Das Leben ist schön“ endet, mag man ihr das nach all dem Gewühl wirklich abnehmen. Auch Philine macht ihre lange Suche nach Selbstliebe zum Thema, die so sehr an das Idealgewicht geknüpft zu sein scheint, und stellt die schmerzhafte Perversion des Wörtchens ‚schön‘ im Gebrauch der Anderen zur Schau. Und auch Lena setzt sich in ihrem zweiten Text mit Krankheit auseinander, mit dem Ausgeliefertsein an die verführerischen und niederschmetternden Phasen von Borderline; dass aus Wunden von Selbstverletzung keine Blumen wachsen, das stellt sie klar und die Gesellschaft ihrem Romantisierungshang vor Augen.
Und die Gewinnerin ist…
… der Applaus ebbt ab, in der Technik tippen die Taschenrechner… – Caro! Mit ihrer Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit sowie zwei starken Texten hat sie das Publikum an diesem Abend überzeugt. Herzlichen Glückwunsch! Was hat Dich motiviert, hier mitzumachen?
Caro: Ich wollte mich selbst ein bisschen challengen. Ich schreibe manchmal für mich und ich gehe gerne als Besucherin zu Poetry-Slams. Eigentlich will ich mich auch mal trauen, habe ich mir gesagt. Dann habe ich von Kulturrausch gelesen, das klang niedrigschwellig, jeder war eingeladen, mitzumachen, da dachte ich: das ist jetzt meine Chance. Da wusste ich aber nicht, dass es ein Finale gibt. Ich dachte, das wäre ein einmaliges Ding.
Univativ: Was ist das für ein Gefühl auf der Bühne zu stehen und die eigenen Texte öffentlich zu lesen?
Caro: Es berührt mich, weil das Texte sind, die mir was bedeuten und was ich auch gerne weitergeben möchte. Zu hören, dass das ankommt, das finde ich super wertvoll.
Univativ: Wann hast du angefangen, die ersten Texte zu schreiben?
Caro: Den allerersten Text habe ich zur Hochzeit meines Bruders geschrieben, das war 2018. Dann immer so ein Text pro Jahr oder so. In letzter Zeit habe ich ein bisschen mehr gemacht.
Univativ: Wie gehst du an Texte heran? Wie bist du zu deiner Inspiration gekommen?
Caro: Viel von dem, was ich einfach erlebe und auch von meiner Arbeit fließt da hinein. Ich arbeite in einer Psychiatrie. Beim Schreiben kann ich meine Gedanken sortieren. Meine Texte entstehen durcheinander, also nicht stringent, nicht von vorne nach hinten. Meist auf dem Handy in den Notizen. Dann stell ich sie um und schreib einzelne Sätze und irgendwann ergibt das einen Text.
Univativ: Könnte der Poetry-Slam was Größeres für dich werden?
Caro: Ich hätte Lust drauf, ja. Ich würd‘s nicht erzwingen, aber ich hätte Bock drauf.
Wie es mit dem Poetry-Slam an der Leuphana weitergeht, steht noch nicht fest. Kontakte zu den Künstler:innen und Connections in die Stadt sind gelegt, aber bei kulturrausch sind auch andere Ideen ins Brodeln gekommen. Ein Song-Slam vielleicht, weil so viele Anfragen von Musiker:innen eingegangen sind. Oder ein gemischtes Kleinkunst-Format. Wer sich gerne überraschen lässt, wird sich auf weitere Veranstaltungen von kulturrausch freuen. Um noch einmal die Festschmaus-Metapher aufzugreifen: Wie eine Wundertüte aus dem Schwimmbad sei der Poetry-Slam, sagt Luca, man weiß nie genau, was man bekommt – manchmal ist viel Lakritze dabei, manchmal viel Lyrik.
Die Gespräche führten: Emily Bein und Judith Scheffel.