Einmal Ishevsk und zurück

Basilius Kathedrale / (C) R. Chudaska
Basilius Kathedrale / (C) R. Chudaska

„Und? Was hast du in den Semesterferien gemacht? Bist du weggefahren?“ – „Ja, ich war in Russland.“ – „Russland? Was willst du denn da?“

So oder so ähnlich verliefen vermutlich viele Gespräche, die nach den Semesterferien aufkamen. Was will man denn in Russland? Sehnt man sich als Student nicht nach Entspannung von den vielen Hausarbeiten und Klausuren? Und ist es während der andauernden Russland-Europa-Konflikte nicht sowieso viel zu gefährlich, nach Russland zu reisen? Nein, tatsächlich machten wir einen zweiwöchigen Studierendenaustausch, der im Rahmen des Komplementärstudiums jährlich angeboten wird. Er besteht aus zwei Teilen. Im April/Maikommen die Austauschstudierenden nach Lüneburg und im September findet dann der Rückaustausch statt. Hier ein Bericht über unsere Erfahrungen nach zwei Wochen in Russland.

Immer gut gelaunt: Unsere Reisegruppe / (C) R. Chudaska
Immer gut gelaunt: Unsere Reisegruppe / (C) R. Chudaska

Mitte September erreichten wir die russische Metropole Moskau per Flugzeug. Nach strengen Passkontrollen und einer erfolgreichen Gepäckeinsammlung, ging es mit dem Bus zum Hostel. Der Weg dorthin gestaltete sich jedoch schwieriger als erwartet: Offensichtlich gilt im russischen Autoverkehr das Motto „der Stärkere gewinnt“ und so fügte sich auch unser Bus in das Gedränge der langen Autoschlangen ein und erkämpfte sich seinen Weg.

Am nächsten Morgen ging es gleich mitten in die russische Metropole: Wir machten eine Stadtführung über den Roten Platz und zum Kreml. Hier zeigte uns eine Stadtführerin die berühmten Gebäude auf dem Roten Platz, der bei Einbruch der Dunkelheit einen ganz besonderen Charme versprühte. Wir sahen das antike Lenin-Mausoleum, das pompöse Warenhaus GUM und natürlich die berühmte Basilius-Kathedrale mit ihren goldenen Kuppeldächern. Es war beeindruckend vor Gebäuden zu stehen, die man sonst nur aus den Nachrichten kennt. Auch der Kreml, Sinnbild für die russische Macht, bot als frühere Residenz der mächtigen Zaren viele Einblicke in die Entwicklung des Landes.

Immer dabei haben: Studentenausweis und Reisepass / (C) R. Chudaska
Immer dabei haben: Studentenausweis und Reisepass / (C) R. Chudaska

Wir versuchten auf unserer kleinen Tour auch erste Kenntnisse in der russischen Sprache zu erlangen, was nach anfänglichen Schwierigkeiten ganz gut gelang. Kaum erholt von den Eindrücken des Tages, ging unser kleines Abenteuer abends bereits weiter. Mit gepackten Koffern galt es die Moskauer Metro zu bezwingen, die, anders als die heimatlichen Züge, nicht mit Türsensoren ausgestattet ist. Ihre Türen schließen sich unbarmherzig und lassen so manchen Fahrgast an den kunstvoll verzierten Metrostationen zurück. Am Bahnhof angekommen wechselten wir in den Nachtzug, der nach 18 Stunden Fahrt (unterbrochen von Zwischenstopps mit potenziellem Erwerb von Essen, kleinen Souvenirs und Kronleuchtern) unser eigentliches Ziel Ishevsk erreichte.

Was gibt es spannendes über die Stadt Ishevsk zu sagen? Die 1.200 km östlich von Moskau gelegene Hauptstadt der Teilrepublik Udmurtien entspricht mit einer Einwohnerzahl von etwa 600.000 Bewohnern der Stadtgröße von Stuttgart oder Frankfurt. Die Stadt war auf Grund der Waffenproduktion, vor allem der weltberühmten Kalaschnikow, bis in die 1980er Jahre von außen kaum zugänglich. Bis heute kommen nur etwa 3.000 Touristen pro Jahr nach Ishevsk. Kein Wunder, dass man von den Bewohnern vor Ort häufig überrascht angesehen wird.

Kaum aus dem Zug ausgestiegen, bestätigte sich ein oft gehörtes Vorurteil. Hier war es schon deutlich kälter als in Moskau, die Bäume trugen nur noch wenige Blätter und ein kühler Wind hieß uns in der herbstlichen Stadt willkommen. Dennoch wurden wir wärmstens von unseren Austauschpartnern begrüßt, die bereits im April in Lüneburg gewesen waren und uns nun nach einem kurzem Campusrundgang in unserer Partneruniversität, der Staatlichen Universität Udmurtiens, zu unseren Unterkünften brachten. Da Studierende in Russland in viel kleineren Wohnungen leben und Zimmer oft geteilt werden, hatten einige Austauschpartner extra für uns eine Wohnung gemietet oder einen Schlafplatz in einem Hostel organisiert. Und auch sonst stellten wir fest, dass Wohnen einen viel geringeren Stellenwert einnimmt als wir es aus unserer Heimat gewohnt sind. Wo man auch hinsah: Hochhäuser, breite von Schlaglöchern durchzogene Straßen und Lärm benachbarter Baustelle sowie des Verkehrs. Das alles schien die hier Lebenden jedoch wenig zu stören.

Immer noch berühmt: Komponist Tschaikowski / (C) R. Chudaska
Immer noch berühmt: Komponist Tschaikowski / (C) R. Chudaska

In Ishevsk gibt es viel mehr zu sehen, als man vielleicht denkt. Wir besuchten das Ishevsker Puppentheater, das Haus der Völkerfreundschaft, den circa 21.000 ha großen Netschkinskiy-Nationalpark (die Urheimat de finnougrischen Völker wie den Ungarn, der Finnen und der Esten darstellt), Wotkinsk und das dortige Tschaikowski Museum, das ethnographische Freilichtmuseum Ludorwai und das Kalaschnikowmuseum. Außerdem wurden wir herzlichst im Deutschunterricht des Linguistischen Lyzeums 22 aufgenommen, erkundeten die Ishesker Stadt und ihre Biodiversität, erweiterten unsere russischen Sprachkenntnisse im Anfängerworkshop, tauchten in in die Erinnerungskultur im postsowjetischen Raum und die Charakteristik der sozial-wirtschaftlichen Entwicklung Udmurtiens ein, lernten Schlüsselbegriffe und Schnittstellen der deutschen und russischen Kultur kennen und besuchten einen Vortrag über Dostojewski und seine Verbindung zu Europa. Durch unsere vielfältigen Erlebnisse und neuen Erfahrungen haben nicht nur das russische Leben neben den westlich geprägten Metropolen St. Petersburg und Moskau kennen gelernt, sondern haben uns auch fernab der Medien ein eigenes Bild von den Gewohnheiten der russischen Bürger, dem Alltag der Studierenden und deren Begeisterung sowohl für die deutsche Sprache als auch für unsere Heimat und Kultur schaffen können.

„Und die Krise in der Ukraine? Ist das nicht gefährlich?“ Es wäre gelogen zu sagen, wir hätten nichts mitbekommen, es wäre jedoch genauso gelogen zu behaupten, wir hätten uns auch nur einmal ernsthafte Sorgen gemacht. Wir haben mit unseren Austauschpartnern über den Konflikt geredet, ihre vielfältigen Ansichten und Meinungen gehört. All diese Gespräche waren sehr aufschlussreich und spannend für uns, wenngleich sich das russische Verständnis vom Krieg als „unbeeinflussbare Naturkatastrophe“ nicht mit unserem deckt.

Immer in guten Händen bei Herrn Pez / (C) R. Chudaska
Immer in guten Händen bei Herrn Pez / (C) R. Chudaska

Lohnt sich eine Reise nach Russland? Wir können sicher sagen, ja es lohnt sich! Nicht nur kulturell, nicht nur politisch, nicht nur interdisziplinär, sondern auch persönlich!

Wenn Du jetzt auch Lust bekommen hast, gibt es am 19. Januar um 18.15 Uhr einen Info-Abend in C 16.129. Weitere Informationen gibt es außerdem bei Herrn Pez.

 

Autorinnen: Wiebke Heinze und Rebecca Chudaska

 

Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Gastbeitrag. Hast du auch tolle Ideen für einen Artikel oder ist dir etwas passiert oder aufgefallen, wovon möglichst viele Studierende wissen sollten? Dann sende uns gern deinen Entwurf an univativ@leuphana.de