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Nur „einen schlechten Tag“ gehabt?

Wenn du einen schlechten Tag hast, dann liegst du vielleicht den ganzen Tag im Bett. Oder du verschüttest deinen Kaffee über deinen Laptop. Vielleicht kannst du dich einfach nur nicht auf deine Hausarbeiten konzentrieren und liest stattdessen dein Lieblingsbuch zum vierten Mal.
Was du aber nicht tust, ist dir eine Waffe zu besorgen und 8 Personen – 6 von ihnen asiatisch-amerikanische Frauen – zu ermorden.
Robert Aaron Long, 21, tat genau dies. Er stand morgens auf, nahm sich seine 9mm Schusswaffe und anschließend 8 Menschen:
Soon Chung Park (74), Hyun Jung Grant (51), Suncha Kim (69), Yong Ae Yue (63), Delaina Ashley Yaun (33), Paul Andre Michels (54), Xiajoie Tan (49), Daoyou Feng (44)
das Leben.

Er nahm spezifisch asiatische Massagesalons ins Visier und hatte vor, nach den ersten Attacken in Georgia weitere asiatische Massagesalons in Florida zu attackieren. Für uns sieht es nach einem klaren Motiv aus: Anti-asiatischer Rassismus – insbesondere an asiatisch stämmige Frauen gerichtet.

Der Polizeichef von Atlanta, Rodney Bryant, hat dies jedoch trotzdem noch nicht als Hassverbrechen eingestuft. Auch Präsident Joe Biden war sich dem Motiv des Mörders nicht sicher („[…]no connection at this moment of the motivation of the killer.“). Man fragt sich warum.

Der Täter wollte zunächst sich selbst umbringen – er ist streng religiös und leidet (nach eigenen Angaben) an einer Sexsucht, die mit seiner Interpretation der Religion nicht vereinbar ist. Er änderte jedoch seine Meinung und entschied sich stattdessen andere Menschen umzubringen, um die „Verführung“ für andere Personen „zu beseitigen“.

Letztendlich ist es egal, ob der Mörder denkt, dass die Morde, die er begangen hat, ein rassistisches Motiv hatten oder nicht. Fakt ist, dass er spezifisch asiatisch-stämmige Frauen attackiert hat und sie in direkten Bezug zu seiner Sexsucht stellt.

Diese konstante und aggressive Sexualisierung ostasiatischer Frauen ist ein massives Problem und hat imperialistische Ursprünge: Sunny Woan nennt es „white sexual imperialism“. Woan spricht die Vergewaltigung und sexualisierte Gewalt an, die oft von Soldaten, die in asiatischen Ländern stationiert waren, ausgeführt werden. Aufgrund ihrer Häufigkeit wurde dies schließlich von dem Militär als Normalzustand akzeptiert. Die Konsequenzen zeigen sich auch für in der Diaspora lebende asiatische Frauen.

Diese Sexualisierung kombiniert mit rassistischen Bezeichnungen für Covid-19, die insbesondere von dem vorherigen US-Präsidenten und seinen Anhängern stetig wiederholt wurden, führt zwangsläufig und unausweichlich zu solch einem terroristischen Akt.

Im Vereinigten Königreich zeigten Daten, die 2020 von der Polizei gesammelt wurden, einen 300%igen Anstieg von Hasskriminalität, die gegen Chines_innen, Ostasiat_innen und Südostasiat_innen gerichtet war (im Vergleich zum vorherigen Jahr). Zwischen März und Dezember 2020 wurden von der „Stop AAPI* Hate“ 2.808 Fälle von anti-asiatischem Rassismus gemeldet. (*Asian American and Pacific Islanders)

Auch in Deutschland ist der Rassismus gegen Asiat_innen weit verbreitet und erlebte seinen Tiefpunkt während des Nationalsozialismus: Mit Ausnahme der Hong Kong Bar auf St. Pauli, erinnert nichts mehr an die über 2000 Chines_innen, die in den 20er und 30er Jahren die Hamburger Chinatown kreierten. Die Vorurteile begannen damals und viele sahen chinesischen Einwander_innen, die oft Seeleute waren, als „opiumrauchende Glückspieler [sic] und zwielichtige Geschäftemacher“, in der Zeitung wurde auch vor der „gelben Gefahr“ gewarnt. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten begann die „Chinesenaktion“ und viele Chines_innen wurden verhaftet und mussten Zwangsarbeit leisten.

Der Rassismus war mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges natürlich nicht beendet – Trumps anti-asiatische Tweets wurden 1.213.700-mal „retweeted“ und 4.276.200-mal „geliked“. Noch mehr Tweets kamen von weiteren republikanischen Politiker_innen. 2020 stieg in US-amerikanischen Großstädten die anti-asiatische Hasskriminalität um 150% an, während Hasskriminalität allgemein um 7% gesunken ist.

Auch an anderen Orten (unter anderem) Berlin ist die Hasskriminalität seit Beginn der Pandemie gegen asiatisch gelesene Menschen gestiegen. (In diesem Artikel und in diesem Artikel (mit Video) kannst du dich über persönliche Erfahrungen mit Rassismus in Deutschland informieren.)

Diese Vorfälle waren vielen Menschen bekannt – vor dem Mord in Atlanta hätte man Vieles unternehmen können und müssen. Für acht Personen ist es nun zu spät. Wichtig ist jetzt, dass diese Taten ganz klar und deutlich als rassistisch motiviert anerkannt werden. Nur so kann im großen Umfang etwas dagegen unternommen werden.

Was nicht geschehen darf, ist dass der Polizist Jay Baker behauptet, der Mörder hätte lediglich „einen schlechten Tag“ gehabt. Diese Verteidigung durch den Polizisten macht jedoch Sinn, da es der gleiche Jay Baker ist, der rassistische Einträge auf Facebook gepostet hat (inzwischen gelöscht):

(Auf den T-Shirts steht: „Covid 19 – Imported Virus from Chy-na“)

Als Personen, die persönlich nicht davon betroffen sind, müssen wir uns informieren (sowohl über die oben erwähnten Themen, aber auch z.B. über das „Model Minority Myth“ und anderen Themen) und sehr wichtig: immer ansprechen, wenn wir etwas Rassistisches oder Misogynes  mitbekommen. Diese Hasskriminalität darf nicht weiterhin ignoriert werden.

 

Hier kannst du dich noch weiter informieren:

warum Anfeindungen gegen Asiaten so normal sind“ (von Pocket Hazel)

Ausschnitt aus dem Dokumentarfilm: „…bis die Gestapo kam – das Chinesenviertel auf St. Pauli

Daniel Dae Kim On Anti-Asian Violence in the US

ZDF heute: “So werden Asiaten hierzulande diskriminiert”

Daniel Dae Kim testifies before U.S. Congress about Anti-Asian hate in America

Karen Chee Addresses the Atlanta Shooting

Model Minority Myth Explained

 

Wenn du spenden möchtest:

Stop AAPI Hate

Asian Pacific American Labor Alliance

Asian American Journalists Association


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