Eine Welt ohne Essen

Sieben Tage Fastenkur – Irrsinn oder Balsam für die Seele? Wenn der Winter kommt, ist vielen danach, sich einfach im Bett zu verstecken und nach vier Uhr nachmittags nicht mehr aus dem Haus zu gehen. Psychotherapeutische Praxen verzeichnen vermehrten Zulauf und der Glühwein bei Aldi ist dauerhaft ausverkauft. Auch die Tiere ziehen sich in den Winterschlaf zurück. Den Eichhörnchen setzt die Kälte so zu, dass sie partout die sommerlichen Verstecke ihrer hart erarbeiteten Haselnüsse nicht mehr wieder finden. Aber warum erzähle ich euch das?Mein Winterprogramm in diesem Jahr sah ähnlich aus. Nein, ich habe nicht die Burger im Schrank versteckt und sie ein halbes Jahr später wieder heraus geholt – aber in einigen Momenten wünschte ich, ich hätte es getan: Ich entschied mich, eine Heilfastenkur zu machen. Sieben Tage ohne feste Nahrung, um den Körper zu entschlacken und ihm eine Pause von all den bösen, doch so lieb gewonnenen Giftstoffen zu geben. Völlig irre? Spätestens am dritten Tag greift man nach der geliebten Schokolade, oder? Oder wird vom vorbeiziehenden Geruch aus der Pommesbude verführt. Und eine Woche ohne Kaffee ist selbst für weniger Süchtige ein Ding der Unmöglichkeit, richtig? Ich habe gelernt: Alles ist möglich – wenn man es wie das Eichhörnchen macht. Und sich einen Jahresvorrat an Tee, Honig, Gemüsebrühe und Tomatensaft zulegt. Der erste Tag soll der Schlimmste sein – vielleicht auch, weil man mit Hilfe eines besonderen Salzes seinen Darm vollständig entleeren soll. Heißt im Klartext: Legt euch eine WG mit mindestens zwei Bädern und toleranten Mitbewohnern zu, denn heute wird im Zehn-Minuten-Takt das Bad von einem fluchenden Erst-Fastenden besetzt. Die Grundstimmung ist dennoch gut, mein Körper zehrt noch von den

gefühlten zwanzig Weihnachtsgänsen der letzten Wochen und die beginnenden Semesterferien erlauben mir unverschämtes Gammeln sowie den einen oder anderen Schwächeanfall. Am zweiten Tag dann soll es also richtig losgehen. Mein Frühstück besteht aus Kräutertee und frisch gepresstem Orangensaft. Der Magen fühlt sich flau an, mit ein bisschen Übung ignoriert man dieses Ereignis jedoch geschickt und geht Shoppen. Ich kaufe Suppengemüse – die zwei Euro scheinen mir gut investiert. Schon jetzt spüre ich dieses merkwürdige Gefühl, was mich die nächsten Tage begleiten soll: Ich bin ganz bei mir, die Menschen um mich herum wirken wie eine einzige, fremde Masse. Weil sie essen. Und ich eben nicht. Inspiriert von diesem Erlebnis kaufe ich außerdem noch vorzüglich duftende Tulpen, wunderbar sinnlose Modezeitschriften und die teuerste Unterwäsche meines Lebens. Es scheint offensichtlich: Der fehlende Genuss von Nudeln, Schokolade & Co wird durch andere Belohnungen ersetzt. Den Rest des Tages verbringe ich mit meiner Gemüsebrühe und einer deftigen Portion Langeweile. Erstaunlich, wie viel Zeit der Mensch am Tag mit Kochen und Essen verbringt. Oder mit der Planung desselben. Ein Wagnis folgt am dritten, noch arbeitsfreien Sonntag meiner Fastenwoche: Ich treibe Sport. Voller Elan schwinge ich mich in meine Laufschuhe. Jemand scheint ein Brett vor meine Knie genagelt zu haben: Nur langsam komme ich voran, von der sonst gewohnten Spritzigkeit ist nichts zu spüren. Mein Körper zahlt mir den zwangsläufig vorhandenen Mangel an Kohlenhydraten heim und ich schleppe

mich stolz, aber müde in die heimische Dusche. Als Alternative zum wohl verdienten Festmahl bleibt mir heute nur aufgewärmter Tomatensaft. Geht auch. Mit ein bisschen

Fantasie wird sogar eine ausgewachsene Spaghetti Bolognese daraus. Wenn man die Augen zumacht. Und auf Tomatensaft steht. Die neue Woche bricht an und mein erster Arbeitstag mit ihr. Am liebsten würde ich meinen Kollegen nichts von meinem Nahrungsexperiment erzählen – für eine sonst koffeinsüchtige Aushilfe allerdings ein unmögliches Unterfangen. Bereits bei der morgendlichen Kaffee-Runde fliege ich auf. Und nun kommen sie wieder, die bereits liebevoll ins Herz geschlossenen Fragen: „Wie, du isst gar nichts? Noch nicht einmal Obst?“, „Kannst du dich dann überhaupt konzentrieren?“, „Wie viel nimmt man dabei ab?“, „Ich wette, du hast heimlich Schokolade unterm Schreibtisch versteckt“ und „DAS könnte ich NIE, so ohne Essen …“ Ich glaube ihnen aufs Wort. Im Laufe der Woche versuche ich, die Mittagspausen so kurz wie möglich zu halten. Zwar überfällt mich nicht der Heißhunger, wenn meine rundliche Kollegin neben mir Salamipizza mit extra Käse und Knoblauch verspeist – schließlich ist mir bewusst, dass mein auf Entgiftung eingestellter Körper so ein Mahl sehr zeitnah in irgendeiner Form wieder von sich geben würde – aber einsam fühle ich mich schon. Essen ist eben doch etwas sehr Gesellschaftliches. Ich beginne darüber nachzudenken, wie oft wir wohl aus Gewohnheit Nahrung zu uns nehmen und wie unser Essverhalten aussehen würde, äßen wir nur, wenn unser Körper danach verlangt. Schlicht, vermute ich. Meine Laune schwankt derweil sehr stark. Mal fühle ich mich leicht, voller Energie. Meine Haut hat die Sanftheit eines Babypopos erreicht und auch alle anderen körperlichen Wehwehchen aus dem Winter sind verschwunden. Es gibt Erzählungen, wonach von Migräne geplagte Menschen bis zu einem halben Jahr nach der Fastenwoche frei von jeglichen Anfällen blieben. Ein mancher ist aber vielleicht auch in tiefe Depression verfallen – er hat meine Solidarität. Ist die Stimmung schlecht, dann aber so richtig: Nervige Arbeitstage schrammen nah an der inneren Kündigung vorbei, von der Liebe geplagte Freundinnen erhöhen das Aggressionspotential und auch ein schwarzer Tee mit Honig

schafft nur bedingt Abhilfe. Die Gerüche, die eine Freitagnacht im Vamos hinterlässt, wirken noch stärker als sonst abstoßend und auch die Erfahrung, einmal nüchtern die Feierei zu durchstehen, hinterlässt bleibenden Eindruck. Ob das Eichhörnchen von nebenan auch so frustriert ist, wenn es erfolglos die Lieblingsnuss des Sommers sucht? Mit gemischten Gefühlen wage ich mich am Ende der Woche an die größte Herausforderung: Das Wieder-Ein-Essen. Apfel, Tomatensuppe und Knäckebrot stehen auf dem Programm. Alles schmeckt grandios, viel intensiver als sonst. Essen macht glücklich. Und verdammt müde. Nach einem Teller Brühe fühle ich mich wie sonst nach Currywurst und Pommes und falle benebelt ins Bett.

Mein Fazit dieser Abstinenz: Ich bin nur kurz am Irrsinn vorbei geschrammt. Habe leichte Höhen und schwere Tiefen durchlebt. Das sonst so leidige Bäuchlein war kurzzeitig im Urlaub – kam aber genauso schnell und unverwundet zurück. Und das Eichhörnchen hat mittlerweile meinen ungeteilten Respekt für seine tägliche Arbeit. Was bleibt, ist das Gefühl, ein Stück stärker geworden zu sein. Und die Gewissheit an wunderbar verfressenen Tagen,

dass es auch ohne geht. Jedenfalls für eine Woche.

Und das nächste Mal laufe ich einen Marathon.

 

Britta Tondock