Die Stuntschule Showtime bildet Jugendliche zu Stuntleuten aus. Sabrina Pretzel trägt einen dunklen, durchnässten Overall. Um ihren Hals liegen bleierne, nasse Tücher. Sie holt tief Luft und zieht die Sturmhaube über, dann die schwere Lederjacke, die Handschuhe und den Helm. Ein Wasserschwall landet auf ihrem Körper. Eine zweite, stinkende Flüssigkeit kommt dazu: Benzin. Pretzel hält die Luft an. Ein paar Sekunden später steht sie in Flammen.
Die Stuntfrau und Ausbilderin der Stuntschule Showtime inszeniert die „Lebende Fackel“, einen der gefährlichsten Stunts überhaupt. Und der erste große, den sie selbst je gemacht hat. „Das hat mich fasziniert und ich bin dabei geblieben“, erzählt sie. Die Arbeit der Lüneburger Stuntschule besteht aber nicht nur aus „lebensgefährlicher Action“. Jugendliche zwischen 18 und 25 Jahren, die auf dem Arbeitsmarkt keine Chance bekommen, werden hier unterstützt. Häufig kommen sie aus der Jugendhilfe, sind bereits straffällig geworden und waren im Gefängnis.
Die Ausbildung zum Stuntman/zur Stuntwoman darf man nicht als sportliches „Hau-Drauf-Vergnügen“ missverstehen. Die Stuntschule bildet keine „Straßenrambos“ aus. Die Jugendlichen folgen strikten Regeln und arbeiten täglich von 8 bis 15.30 Uhr, und das zwei Jahre lang. Dabei dürfen sie sich das erste Mal nach einem halben Jahr an einem Bodystunt, wie zum Beispiel einer Kampfszene, versuchen – vorausgesetzt sie haben die schriftliche Prüfung bestanden. Ein weiteres halbes Jahr später werden dann auch gefährlichere Stunts eingeübt. Zuvor müssen aber alle die Sicherheitsmaßnamen perfekt beherrschen. Auch Pretzel gibt zu: „Jeder Stunt ist gefährlich. Ich habe immer Respekt vor dem, was ich tue.“ Es sei wichtig, sich zu 100 Prozent auf sein Team verlassen zu können.
Die Jugendlichen sollen lernen, Verantwortung zu übernehmen und sich auf die Berufswelt vorzubereiten. Dazu werden sie zu echten Allroundern ausgebildet. Kenntnisse aus über 20 anderen Berufen ebnen den Weg für die Zeit danach. Denn leider sind die Berufschancen für Stuntleute nicht die besten. Abgesehen davon, dass man diesen Job schon rein körperlich nicht sein Leben lang ausüben kann, kann man sich weder auf eine konstante Auftragslage noch auf fixe Gagen verlassen.
Aber die Stuntschule Showtime hat vorgesorgt und besitzt neben einer eigenen Holz- und Kfz-Werkstatt auch eine Malerecke, einen Schminkraum und ein Theater. Außerdem gibt es allgemeinbildende Kurse, ein Kompetenzzentrum und ein intensives Sport-Programm. Betreut werden die Azubis dabei neben Schulleiter Hans Joensson von einem Sozialpädagogen.
Warum eine Stuntausbildung ihnen bei der sozialen Integration helfen kann? „Weil sie über den Kick ‚Stunt‘ lernen, im Team zu arbeiten und somit auch einen Platz in unserer Gesellschaft innezuhaben“, erklärt Joensson. Nicht ohne Stolz berichtet der liebenswerte 60-Jährige, selbst Stuntkoordinator und Deutscher- und Vize-Europameister, dass er von so manchem Jugendlichen als „Vater-Hero-Figur“ angesehen werde: „Die Jugendlichen kommen mit den abwegigsten Fragen und Sorgen zu mir.“
Nur auf das Thema der Finanzierung angesprochen, runzelt Joensson die Stirn. Die Ausbildung wird zwar teilweise von Jugendhilfe oder Ämtern, oft aber auch privat bezahlt. Joensson wünscht sich „mehr Verständnis der Politik, vielleicht ein paar gute Sponsoren, die unser Projekt am Leben erhalten und uns den finanziellen Druck nicht von morgens bis abends spüren lassen.“
Schließlich verfolgt die Stuntschule ehrenwerte Ziele. Joensson und sein Team wollen den Jugendlichen Werte wie Respekt, Zuverlässigkeit und Teamfähigkeit vermitteln, aber auch ihr Selbstwertgefühl wieder aufbauen: „Sie sollen sehen, dass jeder seine Chance im Leben bekommt.“
Von Fiona Dahncke