Ein Graffiti für die Erstsemesterwoche

Der  Campus  der  Universität  Lüneburg  gliedert  sich  in  verschiedene  Teile: die  Hörsäle  mit  dem  Catwalk  dazwischen  hindurch, abseits  die  Mensa – die  Chillout-Zone, und  irgendwo  das  ungenannte  Abseits, zu  dem  Haus  16  gehört. Was  immer  noch  nicht  viele  wissen: Einmal  im  Semester  stieg  dort  bisher  immer  eine  Show. Inzwischen  nennt  sie  sich  BA-Show, wegen  dem  BA-chelor, ohne  den  heute  niemand  mehr  Kunstlehrer  werden  kann. Das  heißt dann so viel  wie: Zukünftige  Kunstlehrer  demonstrieren  praktisch, dass  sie  auch  Kunst  können.

 

In  diesem  Sommer  war  es  wieder  einmal  so  weit. Vor  der  Tür  lehnte  ein  großes  Graffiti  an  der  Hauswand. Schließlich  möchte  die  Universität  Lüneburg  sich  in  dieser  Erstsemesterwoche  einmal  so  richtig  auf  dem  Zahn  der  Zeit  positionieren  und  mit  Banksys  arts  Lüneburg  in  eine  einzige  Graffiti-Wand  verwandeln. Da  gab  es  einen  jungen  Mann, den  ich  bisher  immer  für  einen  Umweltwissenschaftler  hielt. Schließlich  wohnt  er  in  der  Frommestraße  und  hat  eine  politische  Grundeinstellung.

 

Meine  Vorurteile  wurden  auf  eine  harte  Probe  gestellt, als  ich  sah, dass  das  Graffiti  von  ihm  stammte, ein  LEUPHANA-Schriftzug, der  als  Originalvorlage  begann  und  in  einem  Graffiti  endete. Er  studierte  tatsächlich  Lehramt. Im  Keller  des  Hauses  traf  ich  ihn  auf  der  Vernissage.

Irgendwo  hatte  er  mit  Wachs  verschlossene  Eier  abgelegt.

„Die  kannst  du  auf  das  Bild  schmeißen.“

„Was  ist  denn  da  drin?“, fragte  ich.

„Schwarze  Farbe, wie  in  den  Glühbirnen  daneben“, murmelte  er.

Als  Sozialpädagogikstudentin  ließ  ich  mir  das  natürlich  nicht  zwei Mal  sagen. Schließlich  hat  mein  Studiengang  hier  im  Jahr 2008  mehr  von  LEUPHANA  gesehen  als  irgendein  anderer. Ich  nahm  ein  Ei. Eier, noch  dazu  mit  schwarzer  Farbe  gefüllte, wollte  ich  schon  immer  mal  schmeißen. Ich  stieg  ins  Erdgeschoss. Er  folgte  mir. Noch  war  niemand  auf  die  Idee  gekommen, sich  kreativ  an  seinem  Kunstwerk  zu  verwirklichen.

 

Dann  stand  ich  davor  und  zielte  auf  einen  unbeleckten  Buchstaben  eines  Teils  vom  unverfremdeten  Schriftzug. Das  Ei  flog, ein  glückliches  Geschoss, und  zersprang  eindrucksvoll. Die  Farbe  spritzte, floss  an LEUPHANA  herunter, und  die  Schale  fiel  vor  die  Fahrradständer.

Stille. Gegenüber  hatte  eine  Gruppe  Frauen  gesessen, die  ihren  Augen  nicht  traute. Wenig  später  stand  eine  fassungslose  Studentin  vor  mir:

„Du  hast  auf  das  Bild  geschmissen!“

Der  Künstler  fasste  sich  an  den  Kopf:

„Das  ist  ein  interaktives  Kunstwerk!“

 „Hä?“

Die  übliche  Museumslogik  hatte  sich  in  Luft  aufgelöst: Hier  durfte  die  Lichtschranke  überschritten  werden. In  der  Frauengruppe  leises  Gelächter.

Eine  Besucherin  stellte  sich  an  meine  Seite. Sie  maulte  enttäuscht:

„Oh  nein, hast  du  schon  geschmissen? Ich  wollte  doch  den  Ersten  fotografieren, der  darauf  schmeißt !“

„Soll  ich  noch  ein  Ei  holen ?“, fragte  ich.

Schwarze  Eier  schmeißen  macht  großen  Spaß.

„Nein, am  Ende  reichen  die  nicht  aus…“

„Schade.“

Wenig  später  ging  ich.

Wenig  später  begann  die  Eierschlacht.

Davon  sah  ich  nichts  mehr. Ich  hatte  mich  schon  auf  den  Weg  zur  nächsten  Veranstaltung  gemacht, um  allen  von  diesem  großartigen  Kunstwerk  erzählen.

 

Heike Hoja