Über 60 Teilnehmende ergrübelten sich am Startup Weekend Lüneburg die Geschäftsideen der Zukunft. 54 Stunden hatten sie Zeit, wir haben mal reingeschaut.
Samstag, 18 Uhr. Draußen auf dem Uni-Gelände streiten Schnee und Regen darum, wer den meisten Leuten die Laune verdirbt. Im Gebäude 14 jedoch hält der Eifer junger, wie alter Menschen die Tastaturen auf Trab. Zwischen Facebook Gefällt mir-Keksen und Bergen von Studentenfutter hindurch schleichen wir direkt ins Herz der gründungsaffinen Veranstaltung.
Im zweiten Stock finden wir ein Teilnehmer-Team, das gerade an einer, für uns interessant klingenden Idee arbeitete. Spoiler: Es hat was mit Alkohol zu tun.
„Auf Festivals darf man keine Flaschen mitbringen. Sich Longdrinks zu mischen ist umständlich. Dieses Problem wollen wir lösen.“, erklären uns die Geschäftsmodell-Tüftler. In Tetrapaks gefüllte Mischen erzeugen keine Glasscherben auf Campingplätzen und können günstig sein. Vielleicht kann man sich sogar vor Ort seine Lieblingsmische individuell abfüllen lassen. Ein Mentor kommt herein und setzt sich an den Tisch. Die Misch-Aktivisten erklären ihm, wie sie den Vertrieb gerne regeln möchten, wer die Zielgruppe ist, was man noch beachten muss und wie man das ganze Ding bei Twitter aufzuziehen gedenkt. Der Mentor blickt kurz auf einen der Bildschirme und gibt sein Feedback: direkt, ehrlich und im kumpelhaften Ton. – So manche Leuphana-Studierende bekommen jetzt vielleicht ein Startwochen-Déjà-vu. „Ihr müsst an den Teilaspekten noch etwas feilen“, sagt er, dann wechselt er in eine ernstere Tonlage: „Das meine ich jetzt ernst. Wenn ihr an die Idee glaubt; ich kenne Leute, die Wacken organisieren. Wenn ihr wollt, kann ich die mal anrufen.“
Dies war nur eine der ursprünglichen 24 Geschäftsideen, an denen Teilnehmende des Startup Weekends werkelten. Am Ende sind es nur noch acht, einige Teams haben ihre Ideen verworfen oder sich in andere Teams verstreut. Ähnlich wie in den Leuphana-Startwochen bis 2014 ist eine Art Wettbewerb im Rahmen der Veranstaltung entstanden. Die Teams sollten in 54 Stunden ihr Konzept erarbeiten und am Ende in Form eines Pitches (eine Art Präsentation des Geschäftsmodells) einer Jury vorstellen. Diese wählt dann die Sieger in den Kategorien „Bester Pitch“, „Innovativste Idee“, „Größter regionaler Impact“ und „Sonderpreis Medien“.
Bringt ein Wettbewerb wirklich Sieger hervor?
In meiner eigenen Startwoche war die Idee des Wettbewerbs für mich Fluch und Segen zugleich. Einerseits motivierte mich der Wettbewerb, weil man etwas gewinnen konnte und gleichzeitig stärkte er unseren Teamgeist. Andererseits fühlte ich mich in der Freiheit der Ideen eingeschränkt, weil die Idee, nun ja, eine Gewinneridee sein sollte. Bringt ein Wettbewerb wirklich Sieger hervor? Gewinnen werden auf jeden Fall diejenigen, die ihre gesammelten Erfahrungen reflektieren und damit schließlich etwas auf die Beine stellen. Spätestens wenn die Mische-Betreiber euch eines Tages auf einem Festival den Vodka mit O-Saft im Tetrapak vor die Nase halten, werdet ihr verstehen, was ich meine.
„Dude, wenn du BWL studierst, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass du in der Startup Szene erfolgreich wirst.“
Kurz bevor Manouchehr Shamsrizi – wir sollen ihn Manou nennen – unserer Mische-Gruppe als Mentor beratend zur Seite stand, sind wir ihm begegnet und konnten ihm einige Fragen stellen. Während ich meine Fragen herauskrame, grinst er mich an. Die Uhr tickt, länger als 15 Minuten wollte ich ihn nicht von den Teams fernhalten.
Univativ: Muss ich eigentlich BWL studieren, um ein Startup zu gründen? Wenn nein, wie sieht es in der Praxis aus?
Manou: No Offense, 5 BWLer kommen nicht leicht drauf, wie man Maschinenparks miteinander vernetzt oder wie man die Datenbanken von Impfungszulassungen optimiert.
Es gibt einen guten Grund, weshalb Werner von Siemens sich einen BWLer dazu geholt hat, aber selber die Idee hatte, was er machen will. Oder warum Graf Zeppelin sich einen Kaufmann dazu geholt hat, selbst aber als Ingenieur die Vorstellung hatte, was er anders machen will. Dude, wenn du BWL studierst, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass du in der Startup Szene erfolgreich wirst. Erfolgreiche Startups platzierst du in ungewöhnlichen Nischenmärkten mit realen Innovationen.
Univativ: Sollte ich eine Idee wirklich auf ihre Markttauglichkeit prüfen oder drosselt man dadurch die eigene Kreativität?
Manou: Jein. Du musst eine Idee von ihrem Markt her denken. Allerdings weißt du vorher oftmals nicht, was dein Markt sein wird. Davon brauchst du ein breites Verständnis. Sonst schränkst du dich selbst ein.
Du hast super oft bei Gründern unseres Alters B to C Cases. Das ist nicht spannend. Du hast oft wahnsinniges Disruptionspotential, wenn du dir B to B Geschäftsmodelle anschaust. Und da sind die Märkte anders. Da kannst du Halbgerade wie Design Thinking nicht bringen. Dort geht es nicht immer um die klassische Skalierung auf Masse. Du kannst ein wunderbares Startup haben, das die fünf größten Zulieferer von Fahrstuhlherstellern in der Europäischen Bauindustrie beliefert.
Mein größter Rat ist: Geh auf Messen. Am besten auf Messen weit weg von deiner eigenen Lebensrealität. Zum Beispiel von Fahrstuhlherstellern. Die haben ein Riesenproblem damit, wie sie ihren Vertrieb gestalten, und das ist ein totally made up case. Das erzählt dir in der BWL-Vorlesung keiner. Das weißt du aus dem persönlichen Umfeld nicht, weil es kein Problem ist, das du als Endkonsument hast. Aber es ist ein Problem, was in der Szene keiner gelöst bekommt, weil bei Fahrstuhlherstellern kein Mensch verstanden hat, was Digitalisierung ist. Drei Viertel des deutschen Mittelstandes können Internet of Things oder Industrie 4.0 weder lesen, noch schreiben, noch verstehen. Unsere Generation schon. Wir müssen nur in der Lage sein die Probleme zu identifizieren, die solche B to B Player haben, wenn wir nicht das zehnte Zalando copycatten wollen.
Univativ: Bräuchte ich Optimismus, Selbstvertrauen und eine scharfe Auffassungsgabe? Gelernt habe ich das nirgendwo.
Manou: Ich glaube, du kannst das nicht lernen. Was du tun kannst, ist das zu reaktivieren, was du verlernt hast. Das klingt zwar etwas sophistisch, aber es ist ein entscheidender Unterschied. Es geht um dieses Selbstvertrauenmomentum. Glaube ich also, dass ich defizitär bin und mir etwas aneignen muss, ehe ich gründen kann? Oder glaube ich, dass ich alles zum Gründen habe und im Laufe des Prozesses mich daran erinnern muss, weil zehn plus x Jahre Schule und Studium es mir ausgeprügelt haben? Jeder kann gründen. Es gibt eine Art Gründergen, das jeder hat. Und wie das bei Genen so ist, entscheidet sich aus dem eigenen Umfeld, ob das Gen aktiviert wird. Du musst nur das Umfeld finden, in welchem du es aktivieren kannst. Du musst verlernen, was dich am Gründen hindert.
Univativ: Was hälst du von Social Entrepeneurship? Ist das Unfug oder löst man damit gesellschaftliche Probleme?
Manou: Der Unterschied zwischen Social Business und Social Entrepeneurship ist wichtig. Social Entrepeneurship ist der breitere konzeptionelle Überbegriff, also der Versuch, unternehmerisch die Gesellschaft besser zu machen. Social Business ist die Form, von der ich am meisten überzeugt bin. Nämlich, dass alle Akteure das Schaffen als Geschäftsmodell tauglich machen. Du kannst ja auch mit einer Stiftung ein Social Entrepeneur sein.
Ich erläutere es mal mit einer Geschichte: Als ich mit meinem Startup Retrobrain anfing, hatte ich sehr früh ein Gespräch mit einem potentiellen Investor. Dem hab ich erzählt, was wir mit Retrobrain machen. Das hörte er sich lange an, auch länger als vereinbart. Dann sagte er: „Finde ich faszinierend, ich glaube an das Team, ich glaub, dass es ein Problem löst, an die Technologie und an den Markt. Aber wollt ihr etwas Gutes tun, also wollt ihr eine Spende? Oder wollt ihr Geld verdienen, also ein Investment?“ Ich war frustriert. Wo kommt dieses Denken her? Dass es nur das eine oder das andere gibt. Warum ist es für unsere Generation unverständlich, dass man, wie meinem Falle, mehr Geld verdienen kann, wenn man mehr Menschen hilft?
Es macht gesellschaftlich und unternehmerisch Sinn, wenn du nicht einfach Zalando kopierst. Ich halte es sogar für eine moralische Verantwortung. Wenn du in der Lage bist ein Social Business zu gründen, solltest du das auch tun.
Univativ: Willst du möglichen Gründern noch etwas mit auf den Weg geben?
Manou: Gründen an sich ist so ein Hype und Mainstream geworden. Wenn du wirklich cooler Entrepeneur sein willst, musst du überlegen, was innerhalb des Gründerkosmos die neue und was die disruptive Clique ist. Und was Leute sind, die quasi auf dieselbe Art und Weise gründen wie seit 50 Jahren – weil solche gibt es inzwischen auch.
Ich soll also verlernen, was mich hindert? Oder soll ich lernen, was mich nicht hindert? Darüber lasse ich lieber alle Gründer in spe philosophieren.
Draußen kehrt wieder gutes Wetter ein. Wir bedanken uns beim Orga-Team für die Einladung und verabschieden uns, mit den Taschen voller Facebook Gefällt mir-Kekse.
Auf der Facebook Seite des Startup Weekends findet ihr die Gewinner des End-Pitches und erfahrt, ob die Teilnehmenden vielleicht groß rauskommen.
Infobox für schnöde BWL Begriffe:
B to B: Business to Business, Geschäftsbeziehungen/Kommunikation zwischen Unternehmen
B to C: Business to Consumer, Geschäftsbeziehungen/Kommunikation zwischen Unternehmern und Konsumente: Unternehmerisch soziale Probleme bewältigen
Design Thinking: Unterschiedliche Disziplinen erarbeiten ein Konzept
Autor/Interviewer: Jan Gooß