Dokumentation: TRANS – I got life

Häufig geht es bei Dokumentationen um ein Thema, ein Problem, welches von verschiedenen Personen beleuchtet wird. Doch was wäre, wenn wir nicht ein Problem ausleuchten, sondern eine Person? TRANS tut genau das. Statt einen Aspekt des trans seins zu fokussieren, werden wir in die Leben der Protagonist:innen eingeladen. Trans – I got life überzeugt durch eine innovative und gelungene Herangehensweise.

Die Doku erschien am 29. September 2021. Im Rahmen der „Sexualitäten und Geschlechter im Spiegel“ Ausstellung, welche im Wasserturm bis zum 30. April 2022 lief, führte sie das SCALA am 20.04.2022 erneut in Lüneburg auf. Regie führten Doris Metz und Imogen Kimmel. Mit einer Länge von 95 Minuten bietet die Doku reichlich Platz für Emotionen, fesselnde Geschichten und charismatische Menschen.

Zugängliche Protagonist:innen

Als zuschauende Person werden wir auf eine Reise durch verschiedenste Lebensgeschichten, Glücks- und Unglücksmomente, sowie einige der komplexen Aspekte einer Transition genommen. Auch einen Einblick in das Leben russischer trans Personen, welche wesentlich mehr Hass und Diskriminierung erfahren, wird geteilt.

Die Doku ist nicht durchgehend linear aufgebaut, sondern springt zwischen den sieben Protagonist:innen hin und her. Besonders lobenswert ist, dass die porträtierten Personen scheinbar völlig frei sind in dem, was sie erzählen. Besonders bei Themen, zu denen Außenstehende wenig Zugang haben, sind Stimmen aus dem Off eher irritierend und verdrehen unter Umständen sogar die Worte der Betroffenen. Hier steht jedoch das Individuum im Zentrum – die Kameraführung stellt eindeutig die Protagonist:innen ins Zentrum, weitere Personen vor der Kamera, Stimmen oder Erzähler sind überflüssig. Wir lassen uns auf das gefilmte Gegenüber ein, was sich persönlich, intim anfühlt.

Nicht nur trans Personen: Auch ein Chirurg

Allgemein wirft die Doku auch ein sehr medizinisches Bild auf das Thema trans*. Durch die zusätzliche, ausführliche Begleitung des Chirurgen Dr. Jürgen Schaff und Dr. Marci Bowers wird deutlich welchen Ansatz die Regisseurinnen verfolgt haben. Grundsätzlich ist das auch ein interessanter Blickwinkel, dennoch finde ich es wichtig an dieser Stelle herauszustellen, dass Operationen, zwar für einige, dennoch bei weitem nicht für alle trans Personen eine wichtige Rolle spielen.

Thematisiert werden, welche Möglichkeiten trans Personen haben, wie die OP-Techniken weiterentwickelt werden und welche Komplikationen es geben kann. Operationen, so Schaff, bieten trans Personen im Idealfall, ein besseres Körpergefühl und ermöglichen ein zufriedeneres und selbstbestimmteres Leben.

Solltet Ihr weder Blut noch Organe sehen können, ist die Doku leider nicht empfehlenswert. Auch wenn nicht Alles durchgängig gezeigt wird, gibt es keine Triggerwarnungen und der Schnitt sorgt zum Teil für ein unerwartetes Erscheinen der Szenen.

Verschiedenheiten

Wir erfahren viel über Mik, Rikku, Jana, Conny, Julius, Verena und Elizabeth.

Es werden sehr unterschiedliche Einblicke in die individuellen, komplexen Leben und ihre Vergangenheiten geworfen. Dabei erkennen die Zuschauer:innen, wie unterschiedlich die einzelnen Unterstützungssysteme sein können: von akzeptierender Mutter und ablehnendem Vater, über hingebungsvollen Partner:innen bis hin zu informierten Kindern. Wir sehen die Perspektiven von sowohl jungen als auch älteren trans Personen, die auch zu verschiedene Zeitpunkten in ihren Leben transitioniert sind oder noch transitionieren.

„Ich bin glaube ich beides, aber jetzt bin ich Mik, und es ist okay so und es ist super so.“, Mik in TRANS – I got a life.

Auch schön zu sehen ist, dass das Thema trans* nicht nur aus einem vollständig binären Blickwinkel betrachtet wird und die Doku nicht versucht Identitäten festzulegen. Mik sagt über sich „Ich bin glaube ich beides, aber jetzt bin ich Mik, und es ist okay so und es ist super so“. Mit Rikku ist auch eine Person dabei, deren Genderexpression nicht direkt eindeutig ist. Eine wichtige Message der Doku ist, dass trans Personen und deren Leben sehr unterschiedlich aussehen. Sie alle haben verschiedene Wünsche und Lebensrealitäten und sind viel mehr als ihr trans Sein.

Ein Aspekt der Doku hat meinen persönlichen Geschmack gar nicht getroffen: die Musik. Diese empfand ich als sehr intensiv, teilweise ernst und bedrohlich, was sich für mich oft unpassend anhörte.

Im Anschluss beschäftigt, oder vielmehr irritierte, mich vor allem ein Punkt. Viele verwendeten im Interview Formulierungen wie ”im falschen Körper” und ”war mal ein Mann”. Ebenso, dass scheinbar fast Alle kein Problem damit hatten, ihren Deadname zu nennen. Die meisten trans Personen, mit denen ich in Kontakt stehe, lehnen viele diese Formulierungen für sich selbst ab. Letztendlich geht es darum, die Ansichten dieser spezifischen Protagonist:innen zu zeigen. Es ist aber gut, dass besonders diese Wortbeiträge ausschließlich von Betroffenen kommen, die über sich selbst sprechen.

Fazit

Die Dokumentation profitiert stark von der Charakternähe und bietet einen selten gesehenen, intimen Einblick in das Leben von trans Personen. Ich empfehle die Dokumentation jeder Person, die sich für einen offenen Ausschnitt aus dem Leben von trans Personen interessiert. Ihr könnt viel mitnehmen; auch wenn Ihr nicht jeden Begriff kennt, ist der Film sehr verständlich. Statt euch Begriffe von Null an zu erklären, werfen euch die beiden Filmemacherinnen ins kalte Wasser. Die zwei, drei neue Vokabeln lernt man im Prozess. Das Wichtigste sind die menschlichen Einblicke, die Geschichten und die Vielschichtigkeit der Menschen.


Bild: TRANS – I got life Plakat © mindjazz pictures

Mick Neumann

Studiert im 5. Semester Zimtschnecken, backt gerne Zauberwürfel und löst acht verschiedene Umweltwissenschaften.

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