Der Weg aus seiner Arbeitslosigkeit wird für Jochen Stein zu einer Odyssee durch Stellenanzeigen. Unterstützung von seinem Arbeitsvermittler bekommt er kaum – ganz im Gegenteil.
Jeden Morgen sitzt Jochen Stein[1] mit einer Tasse Kaffee am Küchentisch und klappt angespannt seinen Laptop auf. Als er sein E-Mail-Postfach öffnet, bestätigt sich seine Befürchtung – wieder eine Absage im gleichen Wortlaut: „Vielen Dank für Ihr Interesse… leider müssen wir Ihnen mitteilen… die große Anzahl qualifizierter Bewerbungen…“. Seit seiner Arbeitslosigkeit im Februar 2024 gehören diese Antworten zum Alltag des 61-Jährigen. Konkrete Begründungen bekommt er nie.
Fast drei Millionen Arbeitslose meldet die Bundesagentur für Arbeit (BA) im Februar 2025 in Deutschland – etwa 175.000 mehr als im Vorjahr. Hauptgrund dafür sei die konjunkturelle Schwäche, in der die deutsche Wirtschaft steckt. „Die Aussage meines Arbeitsvermittlers war damals, dass er mich bei meiner Qualifikation spätestens im April wieder in Lohn und Brot hat “, erzählt Stein. 42 Jahre lang hat er sozialversicherungspflichtig gearbeitet, 25 Jahre davon als Automobilverkäufer. Zuletzt war er PKW- und Nutzfahrzeugverkäufer bei Volkswagen. Der Grund seiner Kündigung – schlechtes Jahr, niedriger Absatz.
Arbeitsvermittler*innen der Arbeitsagentur sollen Arbeitslose beraten, bei der Jobsuche unterstützen und passende Stellen vermitteln. Von seinem Vermittler fühlt sich Stein jedoch wenig unterstützt: „Ein Vermittlungsangebot meines Arbeitsvermittlers habe ich bis heute noch nicht erhalten. Nicht eins.“
Die Grundsätze der Arbeitsvermittlung sind im Dritten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB III) geregelt. Einer davon besagt, dass die Leistungen an die Eignungen, Fähigkeiten und beruflichen Erfahrungen der Arbeitssuchenden angepasst sein sollen. Davon merkt Stein wenig – stattdessen klickt er sich durch automatisierte Stellenangebote. „Zuletzt waren es 47 Stellenangebote, die mir die Arbeitsagentur geschickt hat. Von diesen 47 waren mindestens 25 für den Direktvertrieb von Kabelverträgen bei O2“, erzählt er. Weil er gelernter Verkäufer sei, seien auch verschiedene Tätigkeiten im Einzelhandel dabei gewesen. Doch keines dieser Angebote sei für ihn wirklich passend gewesen- weder finanziell noch in Bezug auf seine Qualifikationen.
Arbeitslose sind laut SGB III verpflichtet, sich aktiv um Bewerbungen zu bemühen und zumutbare Angebote anzunehmen. Die Stellenangebote, auf die Stein sich letztendlich beworben habe, habe er ohnehin alle selbstständig herausgesucht. Zwar wird er zu einigen Vorstellungsgespräche eingeladen, bisher sei aber noch keines erfolgreich verlaufen. Bei einem Autohaus zieht er seine Bewerbung zurück, bevor er eine Antwort erhält: „Ich hätten keinen Dienstwagen bekommen und deshalb jeden Tag vier Stunden Zug fahren müssen.“ Für ihn sei das unzumutbar gewesen und auch laut SGB III ist bei einer Vollzeitstelle nur eine maximale tägliche Pendelzeit von bis zu zweieinhalb Stunden zumutbar.
Finden Arbeitssuchende keine neue Anstellung, können sie Qualifizierungs- oder Weiterbildungmaßnahmen in Anspruch nehmen. Über sogenannte Bildungsgutscheine finanziert die BA diese. Im September 2024 vereinbart Stein mit seinem Vermittler einen Termin für eine Umschulungsmaßnahme zum Lok- oder Triebwagenführer bei einem Bahnunternehmen. Die Aussichten auf einen Job seien hier besonders hoch, da er mit bestandener Prüfung gleichzeitig eine Einstellungszusage bekäme, erklärt er. Den Eingangstest für die Weiterbildungsmaßnahme hat er bereits bestanden: „Es ging nur noch darum, ob ich einen Bildungsgutschein bekomme- also ob die Arbeitsagentur die Kosten übernimmt. Ohne ihn hätte ich die Weiterbildung nicht finanzieren können.“
Doch im Gespräch teilt ihm sein Arbeitsvermittler mit, dass er die Maßnahme nicht bewilligen wird. „Er fand die Ausbildung zu teuer und meinte, ich könnte auch als Buchhalter oder Personaler sofort eine Stelle finden“, erzählt Stein.
Vermittler*innen müssen darauf zu achten, dass Maßnahmen weder teurer noch länger als nötig sind. Sie müssen dabei jedoch auch die Fähigkeiten der Arbeitssuchenden und die aktuelle Lage auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigen. Konkrete Bewerbungsstellen, kann der Vermittler Stein jedoch nicht nennen. Er bietet ihm an, sich darüber mit seinen Kolleg*innen zu beraten- die seine Einschätzung teilen. Stein stellt daraufhin einen schriftlichen Antrag, erhält jedoch einen Ablehnungsbescheid. Auch seinen Widerspruch lehnt die Widerspruchsstelle der BA ab und bestätigt die Entscheidung des Arbeitsvermittlers.
Eine Bekannte Steins, die bei der Bundesagentur für Arbeit tätig ist, stellt später fest: Die Stellungnahme des Vermittlers weist grobe Formfehler auf. Er habe die Absage Steins an den Autohändler falsch wiedergegeben: Während Stein die Stelle ablehnte, weil ihm vier Stunden tägliche Zugfahrt ohne Firmenwagen nicht zumutbar erschienen, schrieb der Vermittler lediglich, die Entfernung sei ihm „zu weit“ gewesen.
Der einzige verbleibende Weg wäre eine Klage vor dem Sozialgericht gewesen – doch die Frist dafür ist längst verstrichen. „Ich war einfach verunsichert“, sagt Stein, „Es fühlt sich an, als würde jede Entscheidung willkürlich getroffen. Der eine Sachbearbeiter lehnt den Antrag kategorisch ab, während ein anderer ihn vermutlich durchgewunken hätte. Mir wurde so viel geraten, um den Widerspruch durchzubekommen- doch nichts hat funktioniert. Irgendwann verliert man den Mut.“
Seit Februar absolviert er nun eine Weiterbildung zum Mitarbeiter in der öffentlichen Verwaltung. Diese ist 10.000 Euro günstiger als die ursprünglich von ihm angestrebte Fortbildung zum Triebwagenführer.
[1] Name wurde geändert
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