Crocs in ihrem natürlichen Habitat, der Kellertreppe.

Der letzte Schrei – Der Croc

Warum tragen Akademiker:innen Workwear? Was haben Outdoor-Westen mit Queerness zu tun? Und wer ist schuld daran, dass ich mich nicht entscheiden kann, was ich anziehen soll? Im Wechsel schreiben hier Maike, Nino und Judith über Sachen, die ihnen über den Weg laufen und darüber, warum es sich lohnen könnte, ihnen hinterherzugucken. Es geht um nicht weniger als die Vermittlung von Sein und Schein und um nicht mehr als die Lust am Beobachten, beziehungsweise: beobachtet werden.

Berlin. Ich habe einige alte Eindrücke von Berlin, von Tagesausflügen, die wir vom Brandenburgischen Land aus, wo wir oft meine Schulferien verbrachten, unternahmen. Ich erinnere mich ans S-Bahnfahren und die Station Südkreuz, an den Hauptbahnhof mit seinen drei Etagen und dem Ritter-Sport-Turm, an die drei rätselhaften durchlöcherten Männer auf der Spree und daran, dass das Ischia-Tor irgendwas besonderes war, für das wir einmal sehr lange anstanden. Und dann taucht in meinen Erinnerungen immer wieder das Bild einer an sich nichtssagenden Straßenkreuzung auf. Es ist ein Platzhalter, glaube ich, für ein Moment des Beobachtens, diese Szene, die die Möglichkeit bot, die Leute gegenüber auf der anderen Straßenseite für einen unverschämt langen Moment zu betrachten. Ich kam aus einer Welt der Skinny Jeans und formlosen Cardigan-Jäckchen, in der die Mode der Metropole nur in Form von Hardrock-Café-Shirts getragen wurde (ich hab’s nie gecheckt). Die Streetstyles in Berlin waren eines der aufregendsten Erlebnisse da für mich, aufregend auch, weil ich mir dabei meiner Fremdheit in dieser Stadtkultur bewusst wurde.

Letztes Jahr, im Mai 2022, war ich mal wieder für ein Wochenende in Berlin. Mein Bedürfnis nach Inspiration, das mich die einzelnen Großstadtbesuche früher ersehnen ließ, war, ehrlich gesagt, von meinen experimentell-expressiven Kommilitonen reichlich gesättigt. Ich war dann aber doch ein bisschen enttäuscht, dass ich nicht, wie in meinen Erinnerungen, so viele aufregende Seherfahrungen machen konnte. Doch dann, etwas abseits vom Schuss, auf einem Spaziergang am Landwehrkanal, kam ich doch noch ins Glotzen. Der Auslöser, der Erreger des ästhetischen Kitzels, den ich fast nicht mehr für möglich gehalten hätte: ein regenbogenfarbener Croc mit Plateausohle. Zwei natürlich, um genau zu sein. (Mehr als die Fußbekleidung ist mir von dem Outfit blöderweise nicht in Erinnerung geblieben, aber das spricht wohl noch mehr für ihre Wirkung).

Die Hässlichkeit von Crocs ist unter Bekleidungsprodukten bislang unübertroffen. Als „hässlich“ würde ich intuitiv das bezeichnen, was mir an ihnen angriffslustig (feindselig?) ins Auge springt. Aber auch wer sie nicht „hässlich“ nennen würde, weil ihm:ihr die Kategorie „Schönheit“ in Bezug auf Anziehsachen nichts bedeutet, wird Crocs, logisch, nicht „schön“ heißen. Praktisch, preiswert, angenehm zu tragen, schmutzresistent, lustig vielleicht – aber nicht schön. Ihre offensive Funktionalität und offensichtliche Machart (aus einem Guss Kunststoff) lassen keinen Raum für die geheimnisvolle Qualität „schön“. Weder Material noch Architektur erinnern noch in irgendeiner Weise an menschliche Handarbeit und einen damit verbundenen individuellen Gestaltungswillen. Dieser kann vielmehr in der vielfältigen Form bunter Clips, Jibbitz genannt, selbst käuflich erworben werden. Crocs sind einfach Schluppen, um den Müll runterzubringen, und darin haben sie ihre berechtigte Existenz.

Und doch waren Crocs auch schon immer mehr als das. Der Erfolg der ursprünglich als Bootsschuh ersonnenen Fußbekleidung mit den Eigenschaften Schwimmfähigkeit, Wasserresistenz und Rutschfestigkeit erschöpft sich nicht in seiner reinen Funktionalität. Ob intendiert oder nicht, von Anfang an war da ein eigentümlicher ästhetischer Überschuss. Als einer der Unternehmensgründer seinen Geschäftspartnern das erste Modell vorstellte, 2002 war das, soll diesen ihm direkt gestanden haben, wie hässlich er den Schuh finde. Es scheint paradox, dass vielleicht gerade der Versuch, etwas sehr Zweckmäßiges zu produzieren, einen ästhetischen Wert kreiert.

In den Nullerjahren war der Croc Gegenstand polarisierender Gemütserregungen, denen das Internet Raum bot (vielleicht lag es aber umgekehrt auch an der ersten Generation Internet, die noch nichts anderes mit ihm anzufangen wusste). Communities bildeten sich um den Schuh, ermöglicht durch die digitalen sozialen Netzwerke, auf denen der Schuh durch Fotografien von ihm eine ästhetische Aufwertung erfuhr. In einem Artikel der New York Times vom 27. März diesen Jahres, der Aufmerksamkeit darauf richtet, wie die Marke sich trotz der pandemiebedingt ökonomisch schwierigen Lage hoher Umsätze erfreut (ein seitdem ungebrochener Aufwärtstrend), wird eine Kundin zitiert, die Crocs a part of her selfcare nennt. „‘I’m not going to give up my therapy because the economy is going to crap. You go in for the shoe, but you stay for the community’”. Community-bildende Kraft entfaltete der Schuh aber auch auf der Seite seiner „Gegner“. Auf der Seite I Hate Crocs dot com. (ihatecrocsblog.blogspot.com) etwa wurde, programmatisch zusammengefasst unter der Headline „Dedicated to the elimination of Crocs and those who think that their excuses for wearing them are viable”, eine belustigende Anti-Haltung dem Croc gegenüber zelebriert.

Irgendwann aber erlahmte die Erregung um den Croc. Auf dem I-hate-Crocs-Blog erschien 2011 der vorerst letzte Beitrag. Für ein paar Jahre begnügte sich der Schuh mit seinem Dasein auf dem Paddelausflug oder der Kellertreppe oder vielleicht wurde er mancherorts auch ganz ausrangiert. Doch seit einiger Zeit drängen Crocs, am Fuß und in der Debatte, wieder in die Öffentlichkeit. „It is happening again“, schrieb Vincenzo von I hate Crocs am 01.05.2021 fatalistisch. Was “wieder” passierte – und immer noch passiert, mittlerweile auch Lüneburg –, dass nämlich Leute Crocs tragen, so der oberflächliche Befund, ist jedoch nicht dasselbe wie vor 20 Jahren, kann es nicht sein. Die Wiederholung eines modischen Phänomens verändert die Haltung ihm gegenüber. Die Geschichte des Crocs würde sicher ein wunderbares Beispiel abgeben, um Trendsoziologie zu betreiben. Dabei würde es vor allem auch um die Frage gehen, durch welche gesellschaftlichen Akteure sich ein Trend durchsetzt. Festzuhalten ist, dass die Luxusmarke Balenciaga für die Frühjahrskollektion 2018 mit Crocs kooperierte (und dabei den Plateau-Croc) entwickelte; unklar, ob die Inspiration dafür nicht vielleicht von einem besonderen Street-Style kam, oder ein solcher den Croc zumindest zeitgleich inkorporierte. Diese Fragen möchte ich nicht im Detail verfolgen, sondern lieber noch ein paar Überlegungen zu der Einstellung anstellen, mit der der Croc zum zweiten mal auf die Bühne der Welt getragen wurde.

Seit einigen Jahren bereits machen „ugly shoes“ einen Trend. Er wird inszeniert als ästhetische 180°-Wende, als Abkehr vom Schönen, und mit dem Imperativ „Mut zur Hässlichkeit“ (Vogue Germany 2017) beworben. Dass es in dem Moment, wo ein Produkt auf diese Weise medial aufbereitet ist, wo Schuhe auch mit dem Label „ugly sneaker“ verkauft werden, eigentlich keines „Muts“ zur Grenzüberschreitung mehr bedarf, liegt auf der Hand. Tatsächlich steckt dahinter aber eine emanzipatorische Bewegung, die vom Marketing überlagert wird. „Ugly shoes“ haben eine enge Verbindung zur dad fashion, zu der etwa auch Anorak-Jacken, Outdoor-Westen, Baseballcaps und schwere gerade Jeans zählen – Sachen also, die die Ikonografie des Familienvaters in ‚Freizeit‘ ausmachen. Wenn junge weiblich gelesene Personen in dieser Mode auftreten, erzeugt das eine immense Spannung zwischen den Erwartungen an das Subjekt und seiner Erscheinung.

Mode steht immer in einem Spannungsverhältnis zu Schönheit. Um eine sehr klassische Definition – Kants nämlich – des Schönen zu bemühen: schön ist das, was „interesseloses Wohlgefallen“ auslöst, und von daher Zweckdienlichkeit ausschließt; gleichzeitig kann sich Kleidung nie ganz vom Zweck des Bekleidens losmachen. Ein Kleidungsstück, das rein zweckdienlich ist, kann nicht schön sein. Das Schöne ist etwas, was man (noch) nicht auf den Begriff bringen kann, was nicht in seinem Nutzen aufgeht, was daher die reine interesselose Subjektivität berührt. Von Schönheit in Bezug auf Kleidung könnte man dann sprechen, wenn darin die Subjektivität, beziehungsweise der Geschmack durchscheint, und wenn sie die Person nicht etwa auf eine gesellschaftliche Funktion, ihre Arbeit etwa, fixiert. Die Maßgabe „schön“ erfordert insofern immer die Abweichung; sie bleibt aber daran gebunden, was in einer Gesellschaft vom Selbst-Sein erwartet wird.

Crocs sind so offensichtlich Nicht-Schön, dass sie die Bemühung sich ästhetisch produktiv in die Gesellschaft einzubringen, karikieren. Gerade weil sie ihr Wesen als Industrieprodukt so offensichtlich nach außen kehren, können sie die Ernsthaftigkeit des Sich-passend-Kleidens – das durch die wechselhaft und massenweise produzierende Modeindustrie unhaltbar geworden ist – in eine Parodie des Verkleidens verkehren. Für einen kurzen Moment freilich nur war von den Crocs ein Aufschrei – Fuck the system! – zu vernehmen. Dann wurden sie wieder vom Marketing eingeschlossen.


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