Schwer vorstellbar: Ein Stephen King Buch wird als Musical inszeniert? Wo soll denn das ganze Blut herkommen? Für das StudiMusical Lüneburg schien diese Vorstellung jedoch nicht so abwegig zu sein.
Am 3. Mai feierte CARRIE Premiere im Theater Lüneburg. Das Drehbuch von Lawrence D. Cohen, der Musik von Michael Gore und dem Text von Dean Pitchford (übersetzt von Martin Wessels-Behrens und Judith Behrens) wurde beeindruckend umgesetzt in einer Vorstellung, die zum Nachdenken anregt.
CARRIE als StudiMusical entfernt sich vom Image der Geschichte Steven Kings und spinnt eine (zunächst) typische High-School-Geschichte daraus, vom Dazugehören und Ausschließen. Carrie White, die namensgebende Protagonistin des Stücks, wird von ihren Mitschüler*innen gemobbt und entdeckt dabei ihre besonderen telepathischen Fähigkeiten. Obwohl eine Mitschülerin ihr Fehlverhalten einsieht und versucht Carrie zur Entschuldigung eine schöne Prom-Nacht zu bereiten, rechnet sie nicht mit der Bosheit ihrer besten Freundin und Carrie Whites blutrünstiger Magie.
Zu Beginn wirken die Figuren stereotypisiert: Es gibt den Bad Boy, das gemeine It-Girl und den Sportlichen, jedoch zeigen alle Figuren im Laufe des Stücks zunehmende charakterliche Tiefe. Indes überrascht hat mich, dass sogar die intrinsischen Motivationen der in die Bösewicht-Rolle gerutschten Figur durchkommen.
Trotz der Rom-Com-ähnlichen Figuren ist die Trigger Warnung für dieses Stück zu beachten. Wo der Horror Aspekt in den Hintergrund rutscht und Carries übermenschliche Magie eher metaphorisch für ihr Anderssein gedeutet werden kann, kommt der Gruselfaktor von anderswo. CARRIE thematisiert multidimensionale Themen, unter anderem religiöse und sexuelle Traumata. Besonders die Szenen mit Carrie Whites streng christlicher Mutter hinterlassen mehr als nur Gänsehaut. Johanna Graeber (Carrie White) und Lara Kitzig (Margaret White) bauen auf der Bühne eine extrem bedrohliche Stimmung auf, die mich nachträglich noch immer erschaudern lässt. Gerade die Realitätsnähe der Szenen von Selbstbestrafung, Unterwerfung und Fanatismus machen für mich den eigentlichen Horror dieser Inszenierung aus.
Zählt man die beiläufige Homophobie der Schüler*innen und die Unfähigkeit der Lehrkräfte, mit der Gesamtsituation umzugehen, dazu, malt CARRIE ein erschreckendes Bild vom Sozialkonstrukt Schule. Dabei ist es genau diese Gruppendynamik, die den Alltag vieler Kinder bestimmt und sich bei vielen nachhaltig auf die Psyche auswirkt. Wobei im Vergleich zu Carrie im Normalfall dann doch etwas weniger Blut fließt.
Bildquelle: Jan Hoek, Theater Lüneburg (https://www.theater-lueneburg.de/stuecke/carrie/).