Leben im Kloster Lüne. Ein chices, blaues Kostüm statt Kukulle. Kein schwarzer Schleier, aber weiße Perlenohrringe und passend zu der weiß-rosagestreiften Bluse werden die Hände von einem rosa-perlmutt schimmernden Nagellack verziert – so begrüßt uns Ingeborg Kubasta, die seit über 20 Jahren im Kloster Lüne lebt. Ihr Auftritt lässt das klassische Bild der Nonne aus unseren Vorstellungen verschwinden und wir lernen: Kloster ist nicht gleich Kloster. Oftmals wird das Klosterleben mit stündlichen Gebeten, lebenslanger Keuschheit und Gehorsamkeit verbunden. Doch dieses Bild trifft nur auf katholische Ordensklöster zu, von denen seit der Reformation einige in evangelische Klöster und Frauenstifte umgewandelt wurden. Auch das Kloster Lüne ist heute evangelisch und die Frauen, die hier leben, nennt man nicht Nonnen, sondern Konventualinnen und diese können ein wesentlich freieres Leben genießen: Es muss hier kein Gelübde abgelegt werden, mit dem man sich zu einem ganzen Leben im Kloster verpflichtet, feste gemeinsame Gebetszeiten wurden nach und nach verringert und die Tracht verändert. „Das ist die heutige Zeit, da können wir nicht mehr mit weißer Schürze und Häubchen herumlaufen“, merkt Frau Kubasta lachend an. „Wir sind ja hier keine Museumsfiguren.“ Nur zu besonderen Anlässen wird auch heute noch ein großes Ornat mit Orden getragen und die bestehende Klosterordnung schreibt vor, dass die Konventualinnen sich verpflichten, sozialen, kulturellen und religiösen Zwecken zu dienen.
Ingeborg Kubasta zeigte schon in ihrer Kindheit Interesse an der Klosterkultur. Besonders die sechs Heideklöster hier in der Region hatten es der 88jährigen angetan. Bevor sie in das Kloster eintreten konnte, musste sie eine sechsmonatige „Probezeit“ als Expektantin durchlaufen. Danach musste sie einstimmig vom Konvent gewählt werden. Dies ist eine der erhaltenen Traditionen. Auch muss man alleinstehend, geschieden oder verwitwet, sein, um aufgenommen zu werden. Angehörige und Freunde betrachteten Kubastas Umzug ins Kloster mit gemischten Gefühlen. Einige zeigten Interesse, andere hatten anfangs auch das Bild eines strengen Ordensklosters im Kopf und standen ihrer Entscheidung zunächst skeptisch gegenüber. Heute sehen sie jedoch, wie wohl sie sich in Lüne fühlt.
Immer wieder kommt Kubasta auf die Geschichte des Klosters zu sprechen. Diese ist auch Teil ihrer Arbeit. Als Konventualin führt Kubasta regelmäßig Besuchergruppen durch die Gänge und Räume des Klosters. Doch nicht nur die Führungen stehen in ihrem Terminkalender. „Es gibt immer was zu tun“, sagt sie. „Das ist ja kein Feierabend hier!“ Der Chor, der zur Probe ins Kloster kommt, muss beaufsichtigt werden, kulturelle Veranstaltungen müssen vorbereitet werden und wenn sich Besucher im Klosterhof verirren, steht Kubasta ihnen sofort hilfsbereit zur Seite. Doch wer denkt, die Klosterfrauen hätten keine Freizeit, der irrt. Theater, Kino oder eine Tour nach Hamburg – die Konventualinnen bleiben auch außerhalb ihrer Arbeitszeiten aktiv. Und vieles wird zusammen mit der Klostergemeinschaft unternommen. „Dieses Gemeinschaftsleben ist eigentlich der größte Unterschied zu meinem vorherigem Alltag“, meint Kubasta. „Das ist etwas ganz anderes als die Ehe, aber es gefällt mir sehr gut.“ Dennoch lebt jede Konventualin für sich in ihrer eigenen Wohnung und führt ihren eigenen Haushalt. Kubastas Wohnung ist im ersten Stock des Eingangsgebäudes. Für die geräumige 86 Quadratmeter Wohnung zahlt sie nur die Nebenkosten. Die vielen Bilder an der Wand und die antiken, stilvollen Möbel erinnern ebenfalls nicht an die spartanischen Kammern der Konventualinnen vor 300 Jahren. Heute bringt jede ihre persönlichen Gegenstände mit und kann sich die Wohnung nach ihrem individuellen Stil einrichten. Auch im Kloster steht die Zeit eben nicht still.
Von Natalja Fischer und Sarah El Safty