Coraci – Festival pour l’Antisémitisme?

Das coraci-Festival hat Probleme: Mit antisemitischen Aussagen seines Headliners, mit Sexismus und der eigenen Öffentlichkeitsarbeit. Was dahintersteckt, lest ihr hier.

Corawas?

Das Coraci ist ein politisches Festival, das im Mai 2018 zum neunten Mal am Campus Lüneburg stattfand. Coraci steht dabei für „contre le racisme“. Neben Live-Musik gab es auch Workshops und Vorträge zu diversen politischen Themen. Darunter zum Beispiel ein Spaziergang und anschließender Diskussion mit Professor Ulf Wuggenig über das Lüneburger „Ehrenmal der 110. Infanterie“ oder ein Vortrag zum Thema „AfD+FPÖ“ des Politikwissenschaftlers Stephan Grigat. Laut eigenen Angaben besteht das Organisationsteam des Coraci aus „Menschen, die in politischen Projekten aktiv sind und Lust auf Festivalplanung haben.“. Dieses Jahr gewann das coraci auf dem dies academicus, der Preisverleihung der Leuphana, den Preis für studentisches Engagment.*
Das Festival finanziert sich aus Getränkeverkäufen, Geldern aus der Studierendenschaft und dem Gleichstellungsbüro der Leuphana. Im Ansatz des Haushaltes der Studierendenschaft des Wirtschaftsjahres 2017/18 sind dafür 4000 Euro vorgesehen. In den Jahren davor lag der Betrag bei 5000 Euro.

Corakrach – Ärger auf FB, ein Typ ohne T-Shirt und eine Terroristin

Eine Woche nach dem Festival erschien auf Facebook ein ausführlicher, zweisprachiger Post mit dem Titel: „Liebe Freund*innen, wir müssen reden!“. Das coraci-Team kritisierte die Handlung eines männlichen Bandmitgliedes, welches sein T-Shirt auszog. „Zu unserem Konzept (welches den Bands auch im Vorfeld zuging) gehört es, dass cis-männlich gelesene Personen nicht oberkörperfrei herumlaufen sollen. Wir sehen dies als einen solidarischen Akt gegenüber Frauen und Trans* Personen, denen dies im Gegensatz zu Männern in der Regel nicht möglich ist.“ Als das Awareness-Team das Bandmitglied darauf ansprach, antwortete es mit einem sexistischen Spruch. Was genau gesagt wurde, geht jedoch aus dem Post nicht hervor.

Der längere Teil des Statements widmete sich einem anderen Problem:
„Außerdem wurden durch einige Bands in den letzten Tagen Aussagen in Bezug auf die aktuelle Situation in Israel und den Palästinensische(n) Autonomiegebieten sowie den Nahostkonflikt als Ganzes getätigt, die wir problematisch finden.“
Bei der Frage, wer welche Aussagen traf, hielt sich das Coraci-Team zurück. Stattdessen folgte eine ausführliche Erklärung darüber, was Antisemitismus für das Team genau bedeutet und in welchen Erscheinungsformen er auftritt. Hier geht erneut nicht hervor, wer welche Aussage getätigt hat. Nach etwas Recherche fanden wir Folgendes: Der Headliner „The Movement“ postete am 16. Mai ein Bild der palästinensischen Flugzeugentführerin Leila Chaled. In der Beschreibung des Fotos steht: „Solidarity with Palestine! FIGHT THE POWER!“

Leila wer?

Leila Chaled, die Frau mit der AK-47 in der Hand und der Kufiya auf dem Kopf, entführte 1969 für die „Volksfront zur Befreiung Palästinas (PLFP)“ ein Passagierflugzeug auf dem Weg nach Tel Aviv. Das gekaperte Flugzeug landete in Damaskus. Dort tauschte die israelische Regierung 4 israelische Geiseln des Flugzeugs gegen syrische und ägyptische Kriegsgefangene. Ein Jahr später beteiligte Chaled sich an einer weiteren Flugzeugentführung. Sie stürmte mit ihrem Partner Arguella mit Handgranaten und einer Pistole das Cockpit, aber das Bordpersonal wehrte sich. Der Pilot riss mit einem „Sturzflugmanöver“ die Entführer von den Beinen. Wenige Minuten später lag der Partner Arguella tot auf dem Boden, daneben Chaled, gefesselt. Später beschwerte sie sich über eine schlechte Behandlung seitens der Leute, denen sie vorher mit der Zündung ihrer Granate drohte. Durch den Tausch gegen Geiseln einer anderen Entführungsaktion kam Chaled schließlich frei.
Heute tourt Chaled durch die Welt und sammelt Geld für die Kampagne „Boycott, Divestment and Sanctions“, kurz BDS. Diese Kampagne ruft zu Boykotten von Produkten aus Israel auf, mit dem Ziel, „die Besetzung und Kolonisation allen arabischen Landes“ zu beenden.

The Movement at Coraci Festival, Lüneburg. #TheMovement #Coraci

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Ist das Antisemitismus oder Israelkritik?

Der Nahostkonflikt ist ein Thema, dem ein kurzer Artikel in einem Uni-Magazin nicht gerecht wird. Stattdessen möchten wir auf den Aufsatz „Israelkritik oder Antisemitismus? Kriterien für eine Unterscheidung“ des Politikwissenschaftlers und Antisemitismusforschers Samuel Salzborn verweisen. Der Aufsatz ist hier abrufbar.

Was sagt eigentlich der allgemeine Student*innenausschuss (AStA) dazu?

Per Mail schrieb uns das Sprecher*innenkollektiv des AStAs dazu: „Leila Chaled ist eine antisemitische Terroristin und sollte nicht glorifiziert werden. Es ist ärgerlich, dass diese Einstellung der Band nicht früher bekannt war und die Äußerungen dem coraci-Team erst zu spät bewusst wurden. Das Organisationsteam hat in unseren Augen richtig gehandelt und darüber aufgeklärt, als die nötigen Informationen da waren, anstatt die Äußerungen einfach unter den Teppich zu kehren. Da die Informationen erst nach dem Festival da waren, konnte die Band nicht mehr aus dem Programm gestrichen werden. Der klare Hinweis des Festival-Teams, dass die Band ansonsten nicht hätte spielen dürfen, zeigt unsere klare Haltung: der AStA mit allen seinen Referaten, Services, Arbeitsgruppen und co. richtet sich gegen jede Form von Menschenfeindlichkeit und Ungleichheitsideologie.
Trotzdem können Fehler passieren und nicht zu jeder Band und jede*r Referent*in kann so nachgeforscht werden, dass solche Aussagen immer auszuschließen sind. Daher ist es wichtig, transparent zu machen, wenn so etwas auffällt. (…)“

Eine intransparente Angelegenheit

Obwohl die Veranstalter*innen des coraci ein ausführliches Statement gaben, bleiben viele offene Fragezeichen. Das Team hat nicht auf unsere Anfrage geantwortet. Im Facebook-Statement des Teams ist von einigen Bands die Rede. Somit steht nicht fest, wer sich sonst noch kritisch äußerte. Was das Team konkret zu dem Post denkt, ist unbekannt. Genauso bleibt offen, ob und welche Aufwandsentschädigung das coraci-Team an „The Movement“ zahlte. Der Ring Christlich-Demokratischer Studenten Lüneburg (RCDS) beklagte, dass das coraci relevante Kommentare lösche**. Die Information, dass die Aussagen im Bezug auf Israel nicht auf dem Festival getätigt, sondern davor oder danach im Internet veröffentlicht wurden, kam erst einige Tage später in einem Kommentar unter dem Statement auf FB. Dass das Team nicht weiß, ob die Posts vor oder nach dem Festival kamen, hinterlässt den Eindruck, dass coraci wisse selbst nicht genau, welche Aussagen unter Beschuss stehen.

Einer unserer Autor*innen stieß 2017 bereits auf Widerstand beim Versuch der Berichterstattung zum Festival. Er wollte mit dem Smartphone eine Übersichtsaufnahme machen, auf dem sich ca. 30 Personen befanden. Eine einzelne Person forderte die Löschung ausgewählter Fotos. Das coraci ist jedoch eine öffentliche Veranstaltung, an sich sind dort Übersichtsaufnahmen erlaubt. Daraufhin wies das Awareness-Team darauf hin, dass die Veranstalter*innen über das Hausrecht verfügten und somit die Löschung des Fotos fordern können. Unser Autor schilderte die Situation dem Pressesprecher der Leuphana, Henning Zühlsdorff. Dieser schrieb uns: „Einschränkungen des Fotografierverbotes können wir – soweit dieses Verbot geltenden rechtlichen Vorschriften entspricht – demzufolge nicht vornehmen.“ Das coraci dürfte somit das Fotografieverbot nicht ausführen, und damit die Berichterstattung behindern.

Fazit

Fassen wir zusammen: Das polit-Festival an der Uni lädt mit studentischen Geldern eine Band ein, die sich drei Tage vorher auf der eigenen Seite mit einer Terroristin solidarisiert. Das coraci weiß nicht, ob der 16. Mai vor oder nach dem Festival am 19. Mai liegt. Die gezeigte gescheiterte Flugzeugentführerin sammelt heute Geld für eine Kampagne, die bewirkt, dass Avocado Bauern in Israel rote Zahlen schreiben, weil sie für die Aktionen ihres Staates verantwortlich gemacht werden. Es erfolgt keine Klarstellung dessen, was genau schief lief, sondern eine Andeutung darüber, was es vielleicht gewesen sein könnte. Auf die Presseanfrage wird nicht eingegangen. So bestärkt das coraci diejenigen, die das Festival am liebsten einstampfen würden, sei es aus ideologischen, ökonomischen oder persönlichen Gründen.

Wenn das coraci-Team eine Gegenverandarstellung der Geschehnisse veröffentlichen möchte, bieten wir dafür auch unser Magazin an.


Titelbild: Ein coraci-Plakat. (c) Jan Gooß

Aus Transparenzgründen: Der Autor ist Mitglied der Liberalen Hochschulgruppe Lüneburg (LHG)

Wer die Stellungnahme des coraci lesen möchte, ohne dafür Facebook aufzurufen, kann dies auch auf der Webseite des Festivals tun.

*Hinweis: Information nach der Preisverleihung eingefügt.

**Nach eigenen Angaben löschte das coraci-Team den eigenen Kommentar, da er versehentlich über den coraci-Facebook Account veröffentlicht wurde, anstelle des privaten Accounts des Verfassers. Diese Information erreichte uns jedoch erst nach Veröffentlichung des Artikels.

Jan Gooß

Hat an der Leuphana Politikwissenschaft studiert und will nicht die Welt retten. Sowas soll's ja auch geben.

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