CC0 - pixabay - Brown and Black Wooden Chairs Inside Room

Aus dem Leben eines Erstis

Irgendwie habe ich mir studieren anders vorgestellt. In den besonders meditativ monotonen Unterrichtsstunden während der Schule schwebten meine Gedanken oft aus dem offenen Fenster in die Zukunft hinaus. Mein Studentenleben. Es würde ein Mix aus exzessiven Partys, friedlichem Dösen in Vorlesungen und ausufernden philosophischen Wortgefechten über Gott und die Welt – vor allem die Welt – in schmuddeligen Bars bestehen. Da war ich mir sicher. Die Abwesenheit von Freund*innen, Partnerin und Familie kam nicht darin vor.

Der Beweis für die Richtigkeit meiner Vorstellung lieferten meine Eltern. Das ganze Repertoire ihrer Abenteuergeschichten schien nur und ausschließlich während der Studienzeit erabenteuert worden zu sein. Die Geschichten wurden abends am Tisch oder spazierend im Wald erzählt und immer war eine verträumte Traurigkeit in der Stimme dabei, da nun die aufregendste Zeit des Lebens vorbei sei. Die studierten Eltern meiner Freunde hatten offenbar ähnliche „best-time-ever“ Unizeitgeschichten zu erzählen. So bestärkten wir uns gegenseitig gegen Ende unserer Schulzeit in unserer Stammecke auf dem Pausenhof, auch wenn die Wege sich vorerst trennen würden: die spannendste Zeit, die lag noch vor uns.

Nach der Opening Week beschlich mich langsam der Verdacht, dass alle Eltern entweder eine sehr andere Studienzeit hatten (was mir schwerfiel zu glauben) oder die Vergangenheit verklärt durch die rosarote Brille sahen (das kam mir schon plausibler vor). Abends fiel ich tot ins Bett und konnte doch stundenlang nicht einschlafen, weil mein Kopf wahlweise versuchte, den gehörten Stoff zu sortieren oder den verzweifelten, doch meist vergeblichen Versuch unternahm, den Aus-Knopf zu finden. Morgens erfuhr ich dann von der ach so tollen Party, die ich leider verpasst hatte, und mittags ging das Dauermantra von Name, Major, Minor, Lachen und die Beteuerung, Lüneburg habe einen wirklich(!) schlechten Wohnungsmarkt, weiter. Nur unterbrochen von Vorträgen, die alle entweder das Ziel verfolgten, möglichst informations- oder wortdicht zu sein.

Nun ist es über 2 Monate her, dass ich mit sechs Umzugkartons, einem Bett, einem Papa und einem Tisch in einem gähnend leeren weißen Raum stand. Jetzt ist er noch weiß, aber nicht mehr leer, der Papa ist weg, die Kopfschmerzen sind seltener, ich habe die Penny App. Sonst hat sich nicht viel verändert. Ein Strom von Gesichtern zieht an mir vorbei, manche bleiben kurz, lachen, um dann mit anderen Gesichtern zu verschwinden. Freund*innen hab ich noch keine. Nur Bekannte. Meine Zeit verbringe ich oft allein. Mal denkend im Zimmer, mal lernend in der Bib – manchmal mit gesenktem Kopf in der Mensa. Und wenn ich mir den Strom so anschaue, ich sehe viele einsam ziehende Gestalten. Die Einsamkeit in einem Meer von Gleichgesinnten. Warum hat mir das niemand gesagt? Warum wird die Unizeit so glorifiziert?  Wahrscheinlich werde ich in ein paar Monaten mit lächelndem Unverständnis meine damaligen Sorgen beäugen. Bis dahin kommen Sie mir aber sehr real vor.

Gut möglich, dass Ihr euch auch erkannt habt. Euch sei gesagt: Ihr seid nicht einsam in eurer Einsamkeit. Und vielleicht – vielleicht vielleicht – kristallisieren sich aus dem Strom ein paar Gesichter heraus, die ein Leben lang bleiben.


Foto: CC0 – pixabay – Brown and Black Wooden Chairs Inside Room