Alles neu macht der Oktober

Eine Zeitreise durch die Kulturwissenschaften in Lüneburg. Schon als Kind liebte Linda* Bücher. Mehr als einmal hat die Mutter sie erwischt, wie sie noch spät in der Nacht heimlich unter ihrer Bettdecke las, wie gebannt von den Erzählungen über ferne Helden und Prinzessinnen. Mit acht Jahren begann sie Geschichten zu schreiben, mit zehn gewann sie beim Lesewettbewerb den ersten Platz. Ihre Begeisterung für Bücher zog sich durch die Pubertät, machte einen Zwischenstopp im Deutsch LK und mündete in der Frage, ob sich ihr Faible auch in ihrer Studienwahl niederschlagen sollte. Doch Literaturwissenschaften war Linda zu einseitig und zu weltfremd. Im Elfenbeinturm wollte sie nicht landen.

Bei ihren Studienplatzrecherchen stieß Linda auf die Universität Lüneburg. Die bot einen Studiengang an, der sich interessant anhörte: Angewandte Kulturwissenschaften. Linda informierte sich weiter über den Magisterstudiengang und erfuhr auf der Homepage, dass sich KuWi aus verschiedenen Bereichen zusammensetzte. Je nach Interessenlage konnten die Studierenden so verschiedene Gebiete wie Kulturgeographie, Sprache und Kommunikation, Wirtschaftswissenschaften oder Sozial- und Kulturgeschichte miteinander kombinieren. Linda war begeistert, schrieb sich ein und begann ihr Studium in Lüneburg.

Den heutigen KuWi-Studierenden, die das Fach als Bachelor- Studiengang absolvieren, wird Lindas Studiengang nur bedingt bekannt vorkommen. Im Zuge der Neuausrichtung und bei der Umstellung vom Magister zum Bachelor hat sich in der Studienstruktur der Kulturwissenschaften einiges getan. Die Möglichkeit des Magisterstudiengangs, sich verschiedene Studienbereiche selber zusammenzustellen, wurde abgeschafft. Dafür wurden für den Bachelor vier breit angelegte Schwerpunkte kreiert, aus denen die Studierenden einen wählen müssen. Den meisten Studierenden werden sie bekannt vorkommen: Medien und Geschichte, Kommunikation, Kultur und Gesellschaft, Kulturraumentwicklung, Baukultur und Tourismus sowie Künste, Kulturkommunikation und –organisation.

Die Schwerpunkte haben den Nachteil, dass eine individuelle Kombination von gewünschten Studiengebieten nicht mehr möglich ist. Außerdem ist man durch die Zusammensetzung gezwungen, Bereiche zu studieren, die einen gar nicht interessieren. So steht zum Beispiel jemand mit den Präferenzen Kulturorganisation und Geschichte vor dem Problem, dass diese Bereiche nicht in einem Schwerpunkt gebündelt angeboten werden und man sich gegen einen von beiden entscheiden muss. Fällt die Wahl zum Beispiel auf Geschichte, ist man gleichzeitig gezwungen den Bereich Medien zu studieren, da dieser an Geschichte gekoppelt ist. Ein anderer Nachteil des ersten KuWi Leuphana Bachelors ist die schlechte Anbindung an externe Masterprogramme: Für bestimmte disziplinäre Master kann es problematisch sein, die erforderlichen Creditpoints zu sammeln, da die Veranstaltungen anderen Schwerpunkten zugeordnet sind. „Dies brachte einige Unzufriedenheit unter Lehrenden und Studierenden mit sich“, berichtet Torben Fischer, Dozent und Mitarbeiter der Studiengangsleitung Kulturwissenschaften. Der Attraktivitätsverlust hatte zur Folge, dass der in Magisterzeiten so beliebte Studiengang mit 30 Prozent weniger Bewerbern konfrontiert war. Damit sei er zwar immer noch überbucht gewesen, „aber der Interessensschwund war schon ebenso augenfällig wie bedenklich“, erzählt der Dekan Professor Dr. Peter Pez.

Im Herbst 2009 entschied sich das Präsidium der Leuphana, die Leuphana Bachelor-Studiengänge zu reformieren. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Aushängeschilder der Uni, Kulturwissenschaften und Umweltwissenschaften, gelegt. Auch eine Erweiterung der Minorangebote wurde geplant, weswegen ab dem Wintersemester 2010/2011 zum Beispiel Philosophie als Minor gewählt werden kann. Für die Kulturwissenschaften entwickelte das Präsidium einen Vorschlag für ein neues Studienmodell. KuWi 2.0. war geboren.

Doch den KuWi-Lehrenden gefiel das vom Präsidium entwickelte Modell nicht. „Die offenkundigen Nachteile des bisherigen Leuphana-Kuwi-BA´s erschienen eher verstärkt als vermindert“, erinnert sich Pez. Daher entwarfen die Dozierenden ein eigenes Modell, das auf den Lehrerfahrungen und dem Feedback der Studierenden basierte. „Das neue Konzept ist der Versuch, die im Magister vorhandenen Vorteile, wie eine größtmögliche Interdisziplinarität und Wahlfreiheit, in den Bachelor zu überführen“ erklärt Fischer. Dies scheint auch das Präsidium überzeugt zu haben, das das Konzept genehmigte. Ab dem jetzigen Wintersemester werden die Erstis im KuWi 2.0. Modus studieren. Die offensichtlichste Änderung: Der Zusatz „Angewandte“ wurde gestrichen. Schaut man sich das neue Modell im Detail an, so sind die Bezugspunkte zum alten Magisterstudiengang offensichtlich. Die vier Schwerpunkte des alten Kuwi BA sind passé. Stattdessen gibt es insgesamt zehn Module, die man individuell miteinander verknüpfen kann. Verpflichtend ist lediglich die Wahl eines Vertiefungsfaches, das aber durch die Wahl weiterer Module ergänzt werden muss. Musik in Kombination mit Tourismus, Kunst zusammen mit Medienwissenschaften, Literatur gepaart mit Kulturorganisation – all das wird nun wieder möglich sein. Pez ist sich sicher: „Das neue System ist flexibler, besser auf individuelle Ziele und Perspektiven abstimmbar und nötigt auch nicht gleich nach dem Leuphana-Semester die Schwerpunktwahl auf.“

Bei allem Optimismus gibt es natürlich auch Nachteile, die das neue Modell mit sich bringt. Dazu gehören zum Beispiel höhere Planungsanforderungen: Für die Lehrenden kann es schwierig sein, die Modulwahl der Studierenden vorher genau abzuschätzen und sich bei dem Seminarangebot danach zu richten. Auch von den Studierenden ist eine größere Selbstständigkeit und Planung gefordert, wenn sie in ihrer Modulauswahl mehr Möglichkeiten haben. Ob die neu oder zurück gewonnenen Freiheiten mehr Positives als Negatives mit sich bringen werden, wird man an der Stimmung der Studierenden in ein paar Semestern sehen. „Die kommenden Semester werden zeigen, ob sich die neue Struktur bewährt“, resümiert Wolfgang von der KuWi Fachschaft.

Den Studierenden, die den alten KuWi-Bachelor studieren, bringen die Neuerungen leider wenig. Zwar wird es die Möglichkeit geben, in den neuen Bachelor zu wechseln. Da dieser aber erst nach dem Leuphana Semester der jetzigen Erstis im vollen Umfang angeboten wird, sind die alten Ku- Wis dann mindestens im vierten Semester. Ob ein Wechsel dann noch sinnvoll ist, ist fraglich. Eigentlich schade, dass wir nicht, wie Linda, in Magisterzeiten an die Uni Lüneburg gekommen sind.

* Die Person ist fiktiv

Von Lina Sulzbacher
(die Autorin studiert Kulturwissenschaften im 5. Semester)