Ein Reisebericht der Kuba-Exkursion 2008
Was macht der gestresste Student, wenn es in Deutschland kalt und ungemütlich ist? Richtig, er fährt ins Warme, am besten in die Karibik. Zum Beispiel nach Kuba.
Und was macht er dann dort? Sonne tanken und Salsa lernen? Vielleicht. Rum trinken und Zigarren rauchen? Auch möglich. Denkbar aber auch, dass er sich als Teil der Exkursionsgruppe zur Lehrveranstaltung „Musik in Kuba“ unter der Leitung von Frau Schormann aufmachte, Kuba musikalisch zu erfahren und dieses reizvolle Land abseits der Touristenstrände zu entdecken.
La Habana – am 13. März 2008 tauchten wir das erste Mal in diese Stadt ein, in der die Musik allgegenwärtig ist, sich Revolutionsgeschichte und Aufbruchsstimmung vermischen und die verwitterten Prachtbauten und chromblitzenden Cadillacs melancholisch an vergangene Tage erinnern.
Untergebracht in Casa Particulares, der preiswerten Hotelalternative mit direktem Kontakt zu kubanischen Familien inklusive, verlebten wir die erste Woche unseres Aufenthaltes auf der größten Insel der Karibik im Herzen der Hauptstadt. Während zahlreicher Erkundungsversuche dieser vielseitigen Stadt – sei es auf eigene Faust oder mit ortskundigen Kubanern an der Seite – wird eines schnell klar: Havanna muss einmal eine traumhaft schöne Stadt gewesen sein. Überall sieht man prachtvolle Bauten, welche jedoch alle in einem eher erbärmlichen Zustand sind. Teilweise kann man durch die Häuser durchsehen, könnte man … wenn nicht in diesen, für uns unbewohnbaren Ruinen, noch Wäsche zum Trocken an Seilen aufgehängt würde. Dank der Erhebung zum Weltkulturerbe wurde zumindest die am Hafen gelegene Altstadt (Habana Vieja) mit Hilfe der UNESCO weitgehend restauriert und hilft so bei der Vorstellung des einstigen Havannas.
So vielseitig unser Programm war, bei allen Besuchen – ob im Revolutionsmuseum, dem Platz der Revolution oder Führungen durch die Altstadt – hatten wir spätestens während der kleinen Pausen in Restaurants und Cafés einen stetigen Begleiter immer getreu an der Seite – die Musik. Für viele Ausweg aus dem Alltag, Ausdruck der karibischen Lebensfreude und unser Grund, Kuba zu erkunden. Dass Straßenmusiker – wie alle Kubaner – versuchen, den Touristen ein paar Dollar zu entlocken, ist in Anbetracht von Gehältern zwischen 10 und 20 Dollar im Monat (!) nur zu verständlich (Ärzte verdienen z.B. ca. 20 Dollar pro Monat). Auch wenn es nach zwei Wochen langsam schwer fiel, beim gefühlt hundertsten Mal „Guantanamera“ freundlich dreinzuschauen, in den meisten Fällen löste es Begeisterung aus, wie sehr die Musik in das Leben integriert ist und wie viele stilistische Mischformen ihren Weg auf die Straße und die Bühne finden.
Recht schnell konnten wir uns davon überzeugen, dass das, was dort am Straßenrand „mal eben aus der Hüfte“ gespielt wurde, uns, nun ja, mit Rhythmus-Gefühl eher ärmlich beschenkten Mitteleuropäern nicht ganz so leicht von der Hand ging wie erwartet. Beim Percussion-Kurs unter fachmännischer Leitung wurde schnell klar, dass vieles leichter aussieht als es tatsächlich ist. Ähnlich erging es uns angehenden Salsa-Profis beim Tanzkurs mit Tänzern des kubanischen Staats- und Fernsehballetts, welche uns geduldig zur Seite standen, auch wenn uns die ein oder andere Bewegung manchmal sehr Spanisch vorkam. Nach einigen Tagen Übung konnte sich unser Hüftschwung jedoch sehen lassen und auch das Trommeln ging dann fast automatisch.
Welch eine Rolle die Musik schon bei den Kleinsten spielt, konnten wir im „Casa del Nino y de la Ninas“ erfahren. Für über 7.000 Kinder bietet dieses von Unicef unterstützte und vollständig ehrenamtlich organisierte Projekt an verschiedenen Standorten und in verschiedenen Programmen auch den Ärmsten eine tägliche (musikalische) Begleitung neben dem ohnehin auf Kuba sehr gut ausgebauten und für Lateinamerika einzigartigen Schulsystem. Neben der musikalischen Vorführung dieser Kinder kamen wir auch in den Genuss zahlreicher Darbietungen von professionellen Tänzern und Sängern sowie Studierenden des pädagogischen Institutes von Havanna. Über vier Stunden wurde anlässlich unseres Besuches ein großes Spektakel auf die Beine gestellt, angefangen mit einem Theaterstück, in dem sie die afrikanischen Einflüsse auf Kuba reflektierten und abgerundet durch eine Tanzshow, in welcher sie sämtliche, ebenfalls stark durch afrikanische Einflüsse geprägten Tänze der Insel perfekt choreographiert vorstellten.
In einem kommunistisch geführten Land wie Kuba ist auch die Musik nie frei von politischen Einflüssen. Eine häufige Beschneidung der freien Meinungsäußerung wird bei Gesprächen mit Musikern sehr deutlich, die berichten, wie vorsichtig sie bei der Wortwahl in ihren Songs vorgehen müssen. In den Musikschulen und -konservatorien wurden die Helden der Revolution verehrt, auf bunten Schildern konnte man nachlesen, was es heißt, ein Revolutionär zu sein und José Marti, neben Castro und Che der eigentliche Nationalheld und Symbol für den Unabhängigkeitskrieg Kubas gegen Spanien, war allgegenwärtig.
Ortswechsel: Nach einer aufregenden Bahnfahrt – zwischendurch immer wieder unterbrochen durch grelle Taschenlampen, laute Sandwich-Verkäufer, unschönes Getier und abruptes Bremsen in kleinen Dörfern – erreichten wir nach 18 Stunden Santiago de Cuba im Südwesten der Insel, wo wir den zweiten Teil der Exkursion verbrachten. Ursprünglicher und in den Anfängen der Kolonisation für kurze Zeit als eigentliche Hauptstadt gedacht, wirkte Santiago irgendwie „kubanischer“ als Havanna. Auffallend war eine stärkere Verbindung zu den afrikanischen Wurzeln der Bevölkerung, aber gleichzeitig auch ein etwas ärmlicherer Eindruck, obwohl man auf Kuba im Vergleich zu anderen Ländern der Karibik und Mittelamerikas selten wirklicher Armut, Straßenkindern und aufdränglichen Einheimischen begegnet – meist reichte ein freundliches aber bestimmtes „No, gracias!“
Neben Besuchen der „Castillo Morro“, der Festung, die Santiago vor Piraten schützte, dem Grab von José Marti, dem Museum des 26. Juli, welches zahlreiche Fundstücke aus der Zeit der Revolution zeigte, und einer Kaffeeplantage in den Bergen, stand jedoch auch in Santiago die Musik im Vordergrund. So wurden wir im Karnevalsmuseum freundlich mit einer Rumba-Show begrüßt und ließen es uns nicht nehmen, im legendären „Casa de la Trova“ den ein oder anderen Cuba Libre zu schlürfen – natürlich unter ständiger kritischer Betrachtung des musikalischen Geschehens auf der Bühne.
Zurück in Lüneburg und schon fast wieder dem Uni-Stress erlegen, bleiben unbeschreibliche Erinnerungen an eine außergewöhnliche Exkursion, während der jeden Tag etwas Neues entdeckt und gelernte Theorie hautnah praktisch angewandt wurde. Neben all den positiven Eindrücken, die man mit in die Heimat nimmt, stellt sich die Frage, wie sich die Zukunft der Insel gestalten wird, mit einem eher skeptischen Beigeschmack. Auf Kuba herrscht Unsicherheit und man fragt sich: Kommt jetzt ein wenig Freiheit oder kommen die „Yankees“? Einheimische prophezeien einen drastischen Wandel in den kommenden fünf Jahren und niemand weiß, wie weit sich das Land „öffnen“ wird und ob es möglich ist, Gesundheits- und Erziehungssysteme, die weltweit anerkannt sind sowie andere Vorteile der aktuellen Politik zu bewahren.
Optimistisch stehen die Kubaner der ungewissen Zukunft gegenüber und nehmen sich Zeit, einen Moment zu verweilen, anstatt den Stress des Alltags regieren zu lassen – Eigenschaften, die auch die neuen Exkursionsteilnehmer mitbringen sollten. Momentane hochschulpolitische Reformen haben die Verkürzung der Studienzeit zum Ziel, nur leider bleiben bei diesem Modell häufig die „Extras“ des Studiums auf der Strecke. Es bleibt zu hoffen, dass Exkursionen wie diese auch in Zukunft ihren Platz im Lehrangebot finden, denn wir waren begeistert und wünschen uns, dass noch zahlreiche neugierige Lüneburger Kuba – oder, wie Kolumbus 1492 in seinem Bordbuch vermerkte, „die wohl schönste Insel, die Menschenaugen je gesehen haben“ – entdecken.
Hanna Jehring