Im März 2021 berichteten wir „AStA vergisst Rückmeldung zum Semesterticket: 112.264,95 Euro Schaden“ – nun steht der endgültige Betrag fest, der unwiderruflich verloren ist. Durch die fehlende Rückmeldung und fehlende Korrektur vom AStA kam der Schaden erst zustande.
In den letzten Jahren hat es immer wieder Probleme mit dem Semesterticket gegeben. Der Gesamtschaden summiert sich in Hunderttausende Euro, die im Zusammenhang mit dem Semesterticket stehen. Bereits letztes Jahr berichteten wir über die Fehler der Vergangenheit (Abrechnung vom Semesterticket – Eine schwierige Kiste).
Für das landesweite Semesterticket ist einmal im Semester eine Rückmeldung an die Niedersachsentarif GmbH (NITAG) notwendig. Der AStA hat dies für das Wintersemester 2019/20 vergessen. Ebenso wäre eine Korrektur der eingegangenen Rechnung später möglich gewesen, dies wurde jedoch auch versäumt. Ein Schaden von 112.264,95 Euro entstand. In dem Artikel haben wir die Probleme und Hintergründe beleuchtet (AStA vergisst Rückmeldung zum Semesterticket: 112.264,95 Euro Schaden).
Der Schaden ist bei der Erstellung des Jahresabschlusses durch das AStA-Finanzreferat aufgefallen. Es wurden verschiedene Maßnahme ergriffen, damit dies nicht erneut passiert. Unter anderem durch Veränderung der internen Prozesse zur Meldung der Studierendenzahlen. Der AStA veröffentlichte im März 2021 ein Statement dazu.
Versicherung springt ein und zahlt die Hälfte
Eine D&O-Versicherung (Vermögensschadenhaftpflichtversicherung – Directors and Officers – ca. 1.300 Euro/Jahr) wurde bereits vor einiger Zeit abgeschlossen und diese mit Zustimmung vom StuPa der Schaden gemeldet. In Verhandlungen zwischen AStA und der Versicherung wurde ein Vergleichsangebot nach vorheriger externer juristischer Beratung (rund 300 Euro) unterzeichnet. Die Versicherung deckt die Hälfte des Schadens (56.132,48 Euro).
Landesrechnungshof und Ministerium für Wissenschaft und Kultur stellten Nachfragen
Der Landesrechnungshof (LRH) forderte im Mai 2021 einen Bericht über den Semesterticketschaden an. Das Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) wurden vom Präsidium der Leuphana zusammen mit der Innenrevision über die Ereignisse sowie die Aufarbeitung sowie die Verringerung des Schadens informiert. Der AStA wendete sich in einem Schreiben an das zuständige Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung, um auf die landeseigene Eisenbahngesellschaft hinzuwirken, um die Forderungen zu senken. Dies wurde jedoch vom Ministerium abgelehnt.
Rahmenvorgaben von der Leuphana
Das Finanzwesen der Studierendenschaft richtet sich nach einer von ihr zu beschließenden Finanzordnung. Das Präsidium erlässt Rahmenvorgaben für die Finanzordnung und überprüft mindestens einmal jährlich deren Einhaltung. Hierzu liegt eine Rahmenvorgabe gemäß Beschluss des Leuphana Präsidiums vom 11. Oktober 2013 vor. Die Rückmeldung zum Semesterticket liegt im Verantwortungsbereich des AStA, so nach Auskunft August 2021, die Leuphana.
Somit heißt es im Finanzbericht vom AStA am Ende:
Der Vorgang „Semesterticketschaden“ gilt durch die Durchführung der oben genannten Maßnahmen als abgeschlossen. Der Restschaden von 56.132,48 Euro wurde durch die Rücklagen der Studierendenschaft übernommen.
Das Fazit – Ein Kommentar
In Anlehnung an: Der schmutzige AStA-Prozess von Essen – von David Schraven
Am Ende der Geschichte wird es Zeit, ein Fazit in fünf Punkten zu ziehen. Lehren, die aus dem Verfahren für jede verfasste Studierendenschaft (AStA/StuPa/StuRa etc.) in Deutschland gezogen werden können. Daher sind auch einige generelle Punkte genannt, die nicht nur Lüneburg betreffen. Es handelt sich oft um ein strukturelles Problem.
1. Es ist kaum zumutbar, dass Studierendenschaften große wirtschaftliche und wichtige Personalentscheidungen treffen. Die Studierendenvertreter:innen haben kaum Ahnung von Arbeitsrecht, Handelsrecht, Verwaltungsrecht, kaum Lebenserfahrung. Sie ruinieren sich und andere, wenn sie Verträge abschließen, die sie nicht verstehen oder deren Fristen sie nicht einhalten. In wenigen Fällen an anderen Hochschulen wurden sie persönlich in die Haftung genommen, jedoch haftet zum Großteil immer die Studierendenschaft als Ganzes. Schäden können teilweise durch Versicherungen oder Rücklagen (wie beim AStA Tresor, der verschwand durch Rücklagen) abgedeckt werden. Welche Studierendenschaft möchte denn schon seine eigenen Mitglieder oder ehemaligen ehrenamtlich Tätigen verklagen? Die Studierendenvertreter:innen sind oftmals nur ein Jahr im Amt oder teilweise auch nur ein Semester. Eine hohe Personalfluktuation und fehlendes Wissensmanagement tragen dazu bei, dass Fehler passieren.
Positiv ist dahingegen zu nennen, dass es im AStA Lüneburg eine feste Stelle in der Buchhaltung gibt, die über Jahre hinweg Kompetenzen aufgebaut hat, die den neuen Amtsinhaber:innen hier hilfreich zur Seite steht und diese einarbeiten kann.
2. Die Trennung der Aufgaben muss in den Studierendenschaften wesentlich stärker durchgesetzt werden. Referent:innen der Studierendenschaften sollten nicht gleichzeitig Geschäftsführer:innen von AStA-Betrieben sein. Die politisch gewählten, unerfahrenen Studierendenvertreter:innen können nicht die Verantwortung von Vollkaufleuten tragen. Sie können nicht die Buchhaltung organisieren, den komplexen Anforderungen vom Handelsrecht oder Verwaltungsrecht gerecht werden und auch noch politische Ziele umsetzen. Zudem ist die Kontinuität bedroht, wenn durch einen Wechsel des politischen Personals in den ASten die Wirtschaftsbetriebe oder auch Servicebetriebe gefährdet werden.
3. Die Geschäfte der Studierendenschaften müssen so transparent wie möglich organisiert werden. Sowohl die Beteiligungen der AStA-Betriebe als auch die Umsätze, Aufwandsentschädigungen und Gehälter in diesen müssen vollständig transparent gemacht werden, um den bösen Anschein zu vermeiden und Gerüchtesümpfe trockenzulegen. Solche Informationen sowie auch einen Stellenplan sind hochschulöffentlich im Intranet zu veröffentlichen. Eine Einsicht nur nach vorheriger Absprache wäre falsch. Kassenprüfer:innen/Rechnungsprüfer:innen sollten unabhängig sein und nicht im Angestelltenverhältnis zum AStA stehen. Eine externe Prüfung durch Steuerberater:innen/Wirtschaftsprüfer:innen wäre wünschenswert.
4. Die Studierendenschaften sollten nicht alleine Geschäfte über hunderttausende von Euro abschließen dürfen, es bedarf einer zusätzlichen Unterstützung beispielsweise durch die Hochschule. Es darf nicht vergessen werden, dass die Menschen in den Studierendenschaften nur Studierende auf Zeit sind. Sie tragen nur übergangsweise Verantwortung. Sie werden durch das viele Geld oftmals überfordert. Sie wollen und müssen sich eine Zukunft, eine Karriere außerhalb der Uni aufbauen. Wer sich derzeit als junger Mensch in die Verantwortung eines AStA begibt, ist bei den vielen Unwägbarkeiten und der großen Verantwortung zu schlecht abgesichert. Das Risiko kann sein Leben zerstören.
5. Die Studierendenschaften können nicht den Anspruch entwickeln, für alle Studierenden Verantwortung zu übernehmen. Sie sind bei den geringen Wahlbeteiligungen kaum politisch legitimiert, und müssen dementsprechend vorsichtig handeln. Sie treffen Entscheidungen, die alle Studierenden betreffen und verwenden die Gelder von rund 22 Euro pro Semester von jedem:jeder Studierenden. Die Wahlbeteiligung in Lüneburg erreichte 2021 einen historischen Tiefwert mit knapp 11 %. Die Kooperation der Univativ mit CORRECTIV beleuchtete einige Punkte, warum die Wahlbeteiligung bei den Studierenden nur bei rund 15 % in Deutschland liegt. In einem weiteren Artikel ging es um Mitbestimmung und Machtmissbrauch.
Glücklicherweise gab es in Lüneburg Rücklagen und eine Versicherung, die den Schaden gedeckt haben. Ohne Rücklagen wäre vermutlich eine Nachzahlung auf die Studierenden zugekommen. Dennoch wäre der Fehler durch mehr Sorgfalt und zusätzliche Prüfinstanzen vermeidbar gewesen. Am Ende können alle daraus etwas lernen.
Transparenzhinweis: Der Autor war vor einigen Jahren als AStA-Semesterticketbeauftragter tätig.
Foto: Semesterticket komplett mit viel Geld – (c) Christopher Bohlens