Abendrot und Morgengrauen

Die Sehnsucht nach dem Mythos „Vampir“. Vampire erfahren derzeit eine regelrechte Wiederbelebung. Sie erscheinen massenweise auf den Tischen der Buchhandlungen und auf Kinoleinwänden. Als ein Auslöser für die zahlreichen Neuerscheinungen gilt der Erfolg der 2005 erschienenen Romanserie „Twilight“ der US-amerikanischen Autorin Stephenie Meyer. Der britische Autor Kim Newman hat sich mit „Die Vampire“ dem Genre ebenso verschrieben wie Suzanne McLeod mit Romanen wie „Süßer als Blut“.

Neu ist der Erzählstoff bekanntlich nicht: Vampir-Mythen sind ein weltweites Phänomen. Begibt man sich auf Spurensuche, findet man die Ursprünge „unseres“ Vampirs in den Legenden Südosteuropas. Zur literarischen Figur wird er im Zuge romantischer und mystischer Strömungen im 18. Jahrhundert. Ursprünglich ein von der Jagd auf die Lebenden getriebenes Monster, entwickelt der Vampir hier zunehmend menschliche Züge. Schließlich taucht er auch auf der Leinwand auf, wie 1922 in dem Filmklassiker „Nosferatu, eine Symphonie des Grauens“.

Die Twilight-Saga überträgt eine klassische Vampirerzählung in die Gegenwart. Im Mittelpunkt steht die Liebe zwischen Schülerin Bella Swan und dem ewig-siebzehnjährigen Untoten Edward Cullen. Zu wiederkehrenden Motiven der Erzählung werden Begehren, Unschuld und Entsagung, die unwiderrufliche Entscheidung und die Frage nach Gut und Böse. Zu Beginn genießen die Protagonisten eine romantisch verklärte Teenagerliebe, deren Glück allerdings durch die Unvereinbarkeit ihrer Herkunft mehr und mehr in Gefahr gerät. Edward – „zivilisiert“, sensibel und zugleich äußerst verführerisch – ist in seiner Gedankenwelt hin- und hergerissen: Der Protagonist versucht nach menschlichem Empfinden richtig zu handeln; dabei kämpft er sowohl gegen die Begierden der Anderen als auch gegen seine eigenen Abgründe. Edward ist Teil einer „Familie“, die der Jagd auf unschuldige Menschen abgeschworen hat. Als Nahrung dient ihnen vielmehr das Blut von Tieren, was die Autorin als „vegetarische Lebensweise“ bezeichnet. So können sie mit Menschen in Kontakt treten und ein zeitgemäßes Leben führen. Allerdings wird nicht deutlich, was Vegetarismus mit dem Aussaugen von Tieren zu tun hat. Meyer scheint damit eine seit Jahrzehnten geführte Diskussion zu ignorieren.

Nicht zuletzt seit der Verfilmung des ersten Teils sind vor allem Teenager vom Stoff der Twilight-Saga geradezu hypnotisiert. Eine Veröffentlichung, die eher ein Kino-interessiertes Nischenpublikum bedient, ist der Film „Durst“ des südkoreanischen Regisseurs Park Chan-wook. Wenn auch weniger klischeehaft, thematisiert auch er die erotischen Verstrickungen des Vampirdaseins und die Zwickmühle zwischen menschlicher Moral und vampirischen Instinkten. Interessant ist, dass sein Protagonist versucht, ganz auf die Jagd zu verzichten und mit Hilfe von Blutkonserven überlebt. Gibt es also auch „humanistischen Vampirismus“, wie ein Kritiker diese Lebensweise betitelte?

Im Gegensatz zu traditionellem Handlungsstoff wie „Dracula“ scheinen zeitgenössische Vampire in der Gegenwart angekommen zu sein. Oft sind es nicht mehr Schauplätze wie der verwilderte Friedhof oder die düstere Gruft, wie z.B. in der beliebten Buch- und Fernsehserie „Der kleine Vampir“. Die Trennung zwischen Menschenwelt und dem Reich der Untoten findet in aktuellen Erzählungen stärker auf psychologischer Ebene statt. Zwischenmenschliche Beziehungen zwischen Mensch und Vampir bilden den Kern vieler gegenwärtiger Romane und Filme, nicht in erster Linie der Schrecken vor dem Bösen schlechthin. Dafür üben sich die blutsaugenden Wesen in Selbstdisziplin. Letztendlich behalten die Protagonisten jedoch ihre vampirischen Merkmale. Und dies macht wohl auch den eigentlichen Reiz dieser Literatur aus – sie ist abschreckend und faszinierend zugleich.

Von Julia Strube