An Aschermittwoch hat alles angefangen: Ich beschloss, mich selbst und mein Umfeld zu überprüfen, indem ich mir den Wahnsinn des Alltags 40 Tage lang ganz nüchtern reinzog.
Ich habe nicht nur meine körperlichen Qualen, Entzugserscheinungen, persönliche Veränderungen und den Gewichtsverlust dokumentiert, sondern versuchte auch, meinen gewohnten Konsum zu reflektieren.
Im Laufe des Fastenexperiments wurden mir zwei grundlegende Dinge klar:
Als erstes stellte ich fest, dass ich im Alltag ziemlich viel nebenbei und unbedacht konsumiere. Morgens zwei bis sechs Kaffee, abends zum Essen ein Bier oder ein Glas Wein. Unmengen an Zigaretten, einfach aus Langeweile, weil ich aufgeregt bin, weil ich warten muss, oder weil auf jeden Kaffee oder ein gutes Essen nun mal eine Zigarette folgt. In meinem Barjob finde ich auch immer jemanden, mit dem ich mit einem Jägermeister anstoßen kann. Dass der Kurze mit kühlem Bier heruntergespült wird, versteht sich von selbst. Und haben mir Joints früher zu einem grandiosen Lachflash verholfen oder mich richtig entspannen lassen, gehörten sie irgendwann zum Einschlafritual, genauso selbstverständlich wie der Kaffee zum Aufwachen.
Über den eigenen Konsum zu schreiben war nicht immer einfach. Oft habe ich mich wie eine total kaputte Braut gefühlt, die ohne Schnaps, Kippen und Joints nur ein Schatten ihrer selbst ist. Aufgeschrieben klingt das Ganze einfach noch mal eine Nummer härter. Es ist anders, wenn man einfach nur darüber spricht.
Die zweite Sache, die ich ganz ehrlich zugeben muss: Ich finde das nüchterne Leben einsam, langweilig und ernst. Das bessere Ergebnis des Experiments wäre vielleicht die Erkenntnis, dass das Leben ohne Rausch genauso bunt und schön ist wie mit. Aber im Ernst: Einen Scheiß ist es das.
Für 40 Tage war die Nüchternheit gut auszuhalten, das geht ganz sicher auch mal für neun Monate oder ein Jahr. Aber ohne Schwangerschaft oder einen anderen triftigen Grund kommt noch so eine Durststrecke für mich nicht mehr in Frage. Ich habe es echt versucht, war feiern, in Kneipen und auf Konzerten. Das kann man alles einmal nüchtern machen. Auf Dauer aber ist das total öde. Man hält nicht so lange durch, lacht weniger über bescheuerten Kram, redet weniger deepen shit ( für den man sich am nächsten Tag schämt), man produziert kaum noch Skandale und hat, ganz im Vertrauen, total oft einfach keinen Bock auf seine verballerten Freunde. Wer nicht mitfeiert, ist einfach schneller raus.
Natürlich hätte ich die Zeit nutzen und mich einer Horde Straight Edgern anschließen können. Wollte ich aber nicht. Ich wollte in den letzten Tagen endlich mein altes Leben zurück. Und das anwenden, was ich in den vergangenen Tagen gelernt habe. Schauen, ob ich es schaffe, nicht mehr zu rauchen, aber trotzdem zu trinken. Ausprobieren, ob ich unter der Woche nicht auch gut auf Wein und Bier pfeifen könnte. Und am Wochenende nach Herzenslust durch den Tisch treten. Ich habe das Besoffensein nämlich ziemlich vermisst. „Bewusst genießen“ heißt ab sofort meine Zauberformel. Und ab und an werde ich wieder ein paar nüchterne Tage einlegen. Ich weiß ja jetzt, dass es nicht so schwer ist.
Ab heute darf ich wieder mitfeiern. Geplant sind ein Sektfrühstück mit Freunden und eine ausgiebige Tour durch Hamburgs schmutzigste Frühclubs. Wenn ich am Montag mit dem Kater meines Lebens im Bett liege, habe ich mir den gründlich verdient!
Autorin: Laila Samantha Walter
Foto: Wahrer Genuss / (C) Laila Samantha Walter